piwik no script img

Kohl soll sagen, wann er geht

■ Die Nachfolgedebatte ist in vollem Gang: FDP will Zeitpunkt für "Stabübergabe" an Fraktionschef Schäuble, dieser gibt sich nebulös: "Kohl hat ein Stück offengelassen". Der Kanzler versucht ein letztes Machtwo

Bonn (AP/dpa/taz) – Die koalitionsinterne Debatte um die Nachfolge von Bundeskanzler Helmut Kohl im Falle eines Wahlsiegs hat gestern ungeachtet gegenteiliger Beteuerungen aus den Regierungsparteien einen neuen Höhepunkt erreicht. Zahlreiche FDP- Politiker verlangten öffentlich, den Zeitpunkt der „Stabübergabe“ von Kohl an Fraktionschef Wolfgang Schäuble „möglichst bald“ bekanntzugeben. Schäuble sorgte mit einem Interview ebenfalls für Spekulationen. Der Kanzler bekräftigte jedoch in der Zeit, er kandidiere für die ganze Legislaturperiode. „Punkt. Aus. Feierabend.“

Auf Nachfragen dazu antwortete Kohl in dem Interview: „Ich denke nicht daran, über die Antwort hinauszugehen, die ich Ihnen gegeben habe.“ Schäuble hingegen sagte der Woche: „Kohl hat gesagt, er tritt für vier Jahre an, aber letzten Endes hat er auch ein Stück offengelassen, was innerhalb dieser vier Jahre sein kann.“ Der Kanzler schließe „neue Entwicklungen“ nicht völlig aus.

Aus der Umgebung Kohls hieß es gestern, bei Erklärungen, er wolle früher abtreten oder die Union wolle einen Zeitpunkt bekanntgeben, handele sich um „immer wiederkehrende“ Spekulationen und Gerüchte. Kohl habe stets betont, er trete für vier Jahre an, einen Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen aber nie ausgeschlossen.

Die CSU reagierte ungehalten auf die neuerliche Diskussion. Der Bonner Landesgruppenchef Michael Glos sagte, er halte von der Forderung nach Nennung des Wechsel-Zeitpunkts vor der Wahl „überhaupt nichts“. Kohl sei der Kandidat der Union, er kandidiere für vier Jahre, und er – Glos – habe keinen Zweifel, daß Kohl die vier Jahre durchhalten werde. Für SPD-Geschäftsführer Franz Müntefering zeigte die Debatte, daß in der Union „Panik ausgebrochen“ sei. „Der Kanzler wird aus den eigenen Reihen demontiert.“

Kohl hat sich in dem Zeit-Interview überraschend auch zu Schwarz-Grün geäußert. Er halte eine Koalition aus CDU und Grünen langfristig für denkbar, sagte er. Dazu müßten sich allerdings große Teile der Grünen in eine „wertkonservative, auch außen- und sicherheitspolitisch vernünftige Richtung entwickeln“. Für die kommenden vier Jahre schloß er ein Zusammengehen der Christdemokraten mit den Grünen allerdings aus.

Die Erklärungen Kohls zeigten „das ganze Ausmaß der Panik, die offensichtlich im Regierungslager herrscht“, kommentierte der grüne Fraktionschef Joschka Fischer. „Herr Rühe erklärt uns zum Mühlstein am Hals der Sozialdemokraten, Herr Hintze zum Untergang des Abendlandes, und der Kanzler erklärt uns für tendenziell koalitionsfähig. Das zeigt den Zustand dieses Haufens.“ Eine schwarz- grüne Koalition ist nach den Worten von Fischer auf absehbare Zeit kein Thema. „Schwarz-grün stellt sich nicht. Thema ist, daß Kohl am 27. September aufs Altenteil befördert wird.“ Ein Blick in die Ferne sei unnütz. Alles, was nach dem 27. September komme, „liegt so weit in der Zukunft, daß man schon die Perspektive von Gottvater haben müßte, um da substantielle Aussagen machen zu können“. J.K.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen