: Fluthelden im Korruptionssumpf
Chinas Volksbefreiungsarmee bessert mit dem Großeinsatz gegen das Hochwasser ihr angeschlagenes Image auf. Das könnte den Druck zu Reformen mindern ■ Von Sven Hansen
Was der Bundeswehr beim Oder-Hochwasser vor einem Jahr recht war, ist der chinesischen Volksbefreiungsarmee beim Kampf an den Hochwasserfronten des Jangtse, Songhua und Nen billig. Die Flutkatastrophen produzieren Helden und bieten dem Militär die willkommene Gelegenheit, ihr Image aufzupolieren. Chinas Medien berichten täglich vom unermüdlichen Einsatz der 276.000 Soldaten an den Deichen, die dort laut Propaganda „auf Leben und Tod“ kämpfen.
Gezeigt werden Soldaten, die Sandsäcke schleppen, sich furchtlos in die Fluten stürzen oder Menschen von Dächern retten. Der Gipfel war bisher das Bild einer jungen Frau, die aus Dankbarkeit Milch aus ihrer Brust auf die juckenden Mückenstiche eines Uniformierten tröpfelte. Auf einer Propagandakonferenz in Peking wurde kürzlich dazu aufgerufen, in den Berichten über den größten Einsatz der Volksbefreiungsarmee in Friedenszeiten immer wieder darauf hinzuweisen, wie sie sich für die Gemeinschaft aufopfere.
Das Hochwasser ist für Chinas Armee ein Segen. Denn der mit drei Millionen Soldaten weltgrößten Armee stand im jetzt 71. Jahr ihres Bestehens das Wasser bis zum Hals. Am 22. Juli kritisierte sogar Staats- und Parteichef Jiang Zemin als Vorsitzender der Zentralen Militärkommission und Oberbefehlshaber das Militär. Jiang sprach mit seinem Angriff gegen die zahlreichen illegalen Aktivitäten der Volksbefreiungsarmee nicht nur erstmals aus, was bis dahin ein offenes Geheimnis war. Vielmehr verbot er den Militärs gleich kurzerhand ihre kommerziellen Nebengeschäfte.
Das Image der Volksbefreiungsarmee hatte schon durch die Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 einen nahezu irreparablen Schaden erlitten. Bei den Antikorruptionskampagnen der letzten Jahre drückte die Staats- und Parteiführung gegenüber den Streitkräften ein Auge zu.
Chinas Militär hatte in den 80er Jahren eigene wirtschaftliche Aktivitäten begonnen, zunächst um den Etat zu steigern. Inzwischen ist daraus ein undurchsichtiges Konglomerat an Firmen und Aktivitäten geworden. Heute sollen etwa 15.000 Unternehmen dem Militär gehören. Die finanzkräftigeren sind an der Börse in Hongkong notiert oder unterhalten Filialen in den USA und anderen Ländern.
Die Volksbefreiungsarmee betreibt 1.500 Hotels, von denen das Palace-Hotel im Zentrum Pekings das bekannteste ist. Ein Drittel der pharmazeutischen Fabriken, vier der zehn größten Bekleidungsfabriken, Immobilienfirmen, Bergbauunternehmen, Karaoke-Bars und Golfplätze unterstehen heute Offizieren und Generälen. Mangels Transparenz und Kontrolle geht es bei vielen ihrer Geschäfte nicht mit rechten Dingen zu. In den Küstenprovinzen sind zudem Einheiten von Militär und Polizei in den Schmuggel mit Autos, Handys, Luxusartikeln und Zigaretten verstrickt. Und auf internationaler Ebene wurden Firmen des Militärs mehrfach beim illegalen Waffenhandel erwischt, was das Verhältnis zu den USA belastete.
Doch jetzt kann Chinas Regierung nicht mehr auf die Steuereinnahmen verzichten, die ihr durch den Schmuggel entgehen. Sie werden auf zwölf Milliarden US-Dollar jährlich geschätzt. Jiang reagierte mit dem Verbot der Nebentätigkeiten nicht nur auf Kritik aus Wirtschaftskreisen. Der Präsident will auch die Autorität der Regierung stärken und zugleich die Volksbefreiungsarmee zu einer modernen, professionellen Truppe machen, mit der die Kriege von morgen gewonnen werden können. Dazu paßt es nicht, wenn sich die Militärs mehr dem Kommerz als der Landesverteidigung widmen. „Die Offiziere der Volksbefreiungsarmee sollten ein Vorbild sein im Kampf gegen Geldvergötterung, Genußsucht, Egoismus und andere Übel“, schrieb die Volkszeitung zum Tag der Streitkräfte am 1. August.
Bereits in den 80er Jahren nahm Chinas Armee Abschied vom Konzept des Volkskriegs. Von 1985 bis 1990 wurde die Zahl der Soldaten von vier auf drei Millionen reduziert. Viele Demobilisierte fanden Arbeit in den Unternehmen des Militärs. Auf dem 15. Parteitag im vergangenen September wurde die Reduzierung der Streitkräfte um weitere 500.000 angekündigt. Während die Zahl der Soldaten schrumpft, steigt der Militäretat. Laut der Zeitschrift Jane's Defence Weekly kaufte Peking in den letzten drei Jahren für mindestens eine Milliarde Dollar jährlich Kampfflugzeuge, U-Boote und Zerstörer von Moskau.
Chinas Militärhaushalt beträgt offiziell 10,8 Milliarden Dollar und damit – wie die Regierung in ihrem neuesten Weißbuch betont – keine vier Prozent des US-Verteidigungsetats. Während Experten in Wirklichkeit von einem etwa viermal so großen chinesischen Militärbudget ausgehen, erwähnt das Weißbuch die Existenz der Militärfirmen mit keinem Wort. Jiangs Verbot wirtschaftlicher Aktivitäten enthielt keine Angaben, wie sich die Militärs von ihren Unternehmen trennen sollen. Regierung und Armee verhandeln jetzt über die Modalitäten. Für Jahre soll die Volksbefreiungsarmee mit Milliardensummen entschädigt werden. Der Einsatz beim Hochwasser stärkt die Verhandlungsposition des Militärs. Das Verbot ökonomischer Nebentätigkeiten, dessen Umsetzung ohnehin nicht sehr wahrscheinlich war, dürfte weiter verwässert werden.
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