: Weg der Opfer zur Allianz-Entschädigung bleibt steinig
■ Ohne alte Policen gibt es in der Regel auch keine Entschädigung. Die sind nur in einem Bruchteil der Fälle aufzutreiben. Erst Öffnung der US-Archive brachte Versicherer auf Trab
Hamburg (taz) – Die „Holocaust-Entschädigung“, welche jetzt europäische Versicherungsunternehmen an Überlebende und ihre Familien zahlen wollen, könnte insgesamt kleiner ausfallen, als es auf den ersten Blick erscheint. Durch die schon vor einem Jahr von der Allianz eingerichtete Hotline, auf die es rund 1.200 Anrufe gab, konnten bislang nur 18 Versicherungsfälle abgeschlossen werden. Trotzdem soll dieser Weg fortgesetzt werden, wie die am Dienstag bekanntgewordene Einigung zwischen fünf Konzernen und der amerikanischen Versicherungsaufsicht sowie dem Jüdischen Weltkongreß vorsieht. Nun soll eine internationale Kommission die Archive und Konten der Versicherungsunternehmen auf potentielle Ansprüche prüfen. Nach Angaben des Anwalts Michael Witti geht es nun um rund 30.000 Betroffene. Deren Ansprüche erwachsen jedoch nicht aus erlittenem Unrecht, sondern lediglich aus der Existenz alter Versicherungspolicen – von der Hausrats- bis zur Lebensversicherung.
Wieso können überhaupt noch Ansprüche offen sein? Eine Erklärung lieferte bereits im Jahre 1946 die damalige US-Militärregierung für Deutschland, die im OMGUS- Bericht auf die unrühmliche Rolle von Allianz-Vorstand Eduard Hilgard hinwies: Als Vertreter der deutschen Versicherungsbranche nahm er nach den Pogromen von 1938 an einem Treffen mit Göring und Goebbels teil. „Auf dieser Zusammenkunft wurde beschlossen, daß die Versicherungsgesellschaften Zahlungen an die jüdischen Pogrom-Geschädigten in ihre Bücher eintragen sollten, daß derartige Zahlungen jedoch sofort (vom Staat) konfisziert werden sollten.“ Die in Deutschland tätigen Versicherer hatten zwar zunächst den „Bürgerkriegs-Passus“ geltend gemacht und jegliche Zahlung verweigert, schließlich aber die halbe Versicherungssumme an den Nazi- Staat ausgezahlt – und somit die andere Hälfte einbehalten. Ob der Raubbeschluß bedenklich einmütig zustande kam oder ob der Staat einfach anordnete, ist unklar.
Schon im Mai des vergangenen Jahres hatte der Allianz-Vorstand seine Position festgelegt: Das Nazi- Regime habe sich jüdisches Vermögen einschließlich der Versicherungspolicen einverleibt; deshalb hätte die Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin entsprechende Entschädigungszahlungen geleistet. Dennoch versprach Allianz-Chef Schulte-Noelle, jeden Einzelfall nochmals prüfen zu lassen: „Viele noch offene Fragen betreffen offensichtlich in erster Linie Versicherungsnehmer, die vor dem Krieg in Osteuropa lebten.“
Warum es so spät zu nennenswerten Fortschritten kommt, hängt an einer Sperrfrist: Erst fünfzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg öffneten sich die historischen Archive der USA. Das frische alte Material gab Nazi-Überlebenden endlich die Chance, ihre Ansprüche juristisch zu untermauern. Im Oktober 1996 kam es dann zu der New Yorker Klage gegen Schweizer Großbanken, die im Vergleich über 1,25 Milliarden Dollar endete. Im März 1997 folgte eine Klage gegen 16 europäische Versicherer. Danach sorgten politischer Druck, Embargodrohungen und der Wunsch von Allianz und Co., auf dem US-Markt rasant zu wachsen, zur Assekuranz-Offensive – und plötzlich fand auch Versicherer Generali längst verloren erklärte Akten wieder auf. Mit der Vereinbarung von Dienstag darf die Assekuranz, trotz nur verhaltener Zustimmung etwa vom Zentralrat der Juden und deftiger Kritik der Opferanwälte, auch auf eine außergerichtliche Übereinkunft à la Schweizer Großbanken hoffen.
Die moralische Schuld wird nicht zu tilgen sein. So war die Allianz, wie die OMGUS-Berichte nahelegen, wohl ein schwergewichtiger Finanzier der deutschen Aufrüstung – und nicht zuletzt wurde Allianz-Chef Kurt Schmitt 1933 von Hitler zum Reichswirtschaftsminister ernannt. Hermannus Pfeiffer
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