: Der mit den Ochsen tanzt
Der Berliner Koch Peter Frühsammer hatte lange genug schlechtes Fleisch in der Pfanne. Er pachtete eine Weide, kaufte zottlige Galloways, gab ihnen nichts als Heu und Gras und wurde zum Spitzenerzeuger von Rindfleisch, der nebenbei die Landschaft pflegt. Eine Erfolgsstory aus dem märkischen Land ■ Von Eberhard Schäfer
Wer die schönsten Rastalocken von Brandenburg finden will, muß über Schlaglochalleen und Feldwege holpern. Mitten im sanfthügeligen Naturschutzgebiet Nuthe-Nieplitz stehen sie, scheu, massig, hell- und schwarzbraun und schwer zerzauselt. Neugierig blinzeln sie aus sicherer Entfernung durch ihre miserabel gekämmten Dreadlocks den Besucher an: Galloways. Wir befinden uns fünfzig Kilometer vor Berlin in märkisch-herber Landschaft. Baumreihen, Wälder und schilfbewachsene Feuchtwiesen mit seltenen Orchideen wechseln sich ab. Und dazwischen ziehen sich die Weiden hin, die Rinderzüchter Peter Frühsammer vom Naturschutzverband gepachtet hat. 120 Hektar Land, aber kein Hof, kein Stall, kein Mensch weit und breit, nur neunzig urige Rindviecher, die sich gemeinsam mit achtzig Islandpferden auf den Naturflächen tummeln. Drumrum ein Weidezaun, vor dem der energiesprühende 38jährige Pächter steht und von seinen Leidenschaften berichtet.
Am liebsten erzählt er von der Reiterei. Daß er dieses Jahr mit eigenem Hengst bei den deutschen Meisterschaften antritt. Unter die ersten sechs will er kommen, dann darf er bei den Weltmeisterschaften ran. Eines ist somit sicher: Pferdefleisch von Frühsammer, das wird es wohl niemals geben. Aber Rindfleisch? Da hält es Frühsammer mit dem Geographen Ortelius, der anno 1573 die Heimat der urigen Rindviecher, die schottischen Lowlands, bereiste und ihr Fleisch als besonders zart, süß und saftig rühmte.
Doch Rinderzüchter wird man nicht so leicht: „Ich hasse stinkende Kuhställe!“ bekennt der gelernte Koch, der bessere Düfte gewöhnt ist. Nun, einen Stall muß er hier draußen im Märkischen nicht betreten. Er besitzt nämlich keinen. Seine Galloways grasen das ganze Jahr auf der Weide. Die Tiere können wegen ihres dicken Fells bei jedem Wetter draußen bleiben, genaugenommen wegen ihrer zwei Felle: Die langen äußeren Haare schützen vor Wind und Regen, das pelzige Innenfutter hält schön warm. Ganzjährig unter freiem Himmel auf weitem Weideland, das heißt auf EU-agrarisch extensive Weidehaltung. „Nur das ist wirklich artgerecht“, sagt Frühsammer und geht damit keinem Streit aus dem Weg. Bessere Ställe, bessere Fütterung und Haltung, wie sie beispielsweise die Ökoverbände vorschreiben, finden bei ihm keine Gnade, Frühsammer sucht das Ideal.
Den gebürtigen Schwaben verschlug es nach Berlin, nachdem er es bereits in jungen Jahren auf den ersten Platz geschafft hatte – als Sieger eines bundesweiten Kochlehrlingwettbewerbs. Prompt engagierte ihn das Kempinski. Später wollte er mit einem eigenen Restaurant den Gipfel der gastronomischen Regionalliga erobern. Dazu brauchte er jedoch erstklassiges Rindfleisch, das nirgendwo zu bekommen war. 1991 ergab sich eher zufällig die Gelegenheit, Weideland zu pachten und eigene Rinder darauf bummeln zu lassen.
Mit dem Restaurant hatte er kein Glück. Übrig blieben die Galloways. Inzwischen bekocht Frühsammer eine große Berliner Werbeagentur, betreibt einen Cateringservice und sucht Räume für ein neues Lokal. Denn nach wie vor wäre die sinnvollste Kombination, das selbst erzeugte Fleisch im eigenen Restaurant zu veredeln. Solange das nicht geht, verkauft er das Fleisch seiner Rinder hauptsächlich an Stammkunden, zu denen Berliner Spitzenköche wie Franz Raneburger (“Bamberger Reiter“) und Jürgen Fehrenbach (“Grand Slam“) zählen.
In der Spitzengastronomie gibt es bekanntlich kein minderwertiges Industriefutter – ebensowenig auf Frühsammers Weiden. Die Zotteltiere, das zeichnet diese Rasse aus, sind genügsam. Sie futtern das Gras von den ungedüngten Weiden, im Winter gibt's Heu. Sonst brauchen sie nichts, kein Kraftfutter, kein Tiermehl, kein Eiweiß, keine Vitamine. Einfach nur Heu und Gras. Das führt dazu, daß die Rinder im Winter nicht zunehmen, was jedem konventionellen Züchter den Angstschweiß auf die Stirn triebe. Mastrinder aus herkömmlichen Betrieben müssen jeden Tag 1.200 Gramm zunehmen, damit sie sich für den Bauer rechnen.
Die reine Grasfütterung hat für Frühsammer aber entscheidende Vorteile. Sie ist erstens billig. Und zweitens ist der Rinderwahnsinn BSE kein Thema. Am Gras hat sich noch keine Kuh angesteckt. Die Herkunft seines Hornviehs ist rein kontinentaleuropäisch und lückenlos dokumentiert. Nur ihre Namen haben die Tiere inzwischen verloren. Frühsammer mag – da plagt ihn sein Gewissen – nur namenlose Tiere schlachten lassen. Die Mastrinder haben Nummern, nur Zuchtbullen und Mutterkühe hören auf Namen. Seine Tierliebe geht aber noch weiter. Eine 25 Jahre alte Kuh, wirtschaftlich gesehen nutzlos geworden, seit sie nicht mehr kalbt, schlendert mit den anderen Tieren auf der Weide herum. „Aus der wird keine Salami gemacht!“
Frühsammer hat hohe ethische und ökologische Ansprüche. „Ausgangspunkt war sicherlich der Wunsch, Fleisch höchster Qualität zu erzeugen.“ Je intensiver er sich damit beschäftigte, desto klarer wurde ihm, daß dies nur in Verbindung mit natur- und landschaftspflegerischen Ambitionen funktioniert. Hier möchte er ein Beispiel setzen. „Wenn ich an die widerwärtige Massentierhaltung denke, müßte ich Vegetarier werden.“ Das kann und will er aber nicht, Fleisch, sagt er, „gibt mir Lebenslust und Energie“. Darauf und natürlich auf Wohlgeschmack und Bratenduft will er nicht verzichten.
Gerüche wecken Erinnerungen. Frühsammer freut sich, wenn ein Kunde berichtet, daß der Geruch des gebratenen Fleisches ihn an seine Kindheit erinnert habe: „Es riecht ja wie früher, nach Fleisch, nach richtigem Fleisch!“ So passierte es, daß selbst eingefleischte Vegetarier zu überzeugten Frühsammer-Kunden konvertierten. Sie hatten die zotteligen Rinder draußen auf dem Weideland gesehen und ließen es, angereichert mit viel Information über Galloways und artgerechte Tierhaltung, auf einen Versuch ankommen. Die neue Kost ist nicht einmal teuer. Weil er kein Futter zukaufen muß und weil, wie Frühsammer sagt, seine Art der Rinderhaltung tierarzt- und pharmafeindlich ist, liegen die Preise nur etwa zwanzig Prozent höher als im Supermarkt.
Viel Fleisch hat er nicht zu verkaufen. Nur ein Tier pro Woche wird im Alter von drei Jahren im nahen Spargelstädtchen Beelitz geschlachtet. Das sind etwa 300 Kilo Fleisch, die vom Schlachtermeister grob zerlegt und dann von Frühsammer selbst weiterverarbeitet, vakuumverpackt und schnellstens ausgeliefert werden. Tiefgefroren wird nichts, damit wäre die Spitzenqualität beim Teufel.
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