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Rechtsprechung

Erst vor zwei Jahren erklärte der Bundesgerichtshof (BGH) die Gabe von Schmerzmitteln auch dann für zulässig, wenn sie mit der nicht beabsichtigten, um einer wirksamen Schmerzbekämpfung willen aber unvermeidbaren Folge eines vorzeitigen Todes einhergeht („indirekte Sterbehilfe“).

1987 wurde der Krebsarzt Julius Hackethal in einem spektakulären Prozeß vor dem Oberlandesgericht München vom Vorwurf „unterlassener Hilfeleistung“ freigesprochen. Es ließ sich nicht nachweisen, daß Hackethal bei einer zum Freitod entschlossenen Krebspatientin, der er Zyankalikapseln verschafft hatte, den Vergiftungstod noch hätte verhindern können.

1984 hatte der BGH bereits entschieden, daß es keine unbedingte „Rechtsverpflichtung zur Erhaltung eines erlöschenden Lebens“ gebe und nicht „die Effizienz der Apparatur, sondern die an der Achtung des Lebens und der Menschenwürde ausgerichtete Einzelfallentscheidung die Grenze ärztlicher Behandlungspflicht“ bestimme. Auch hier wurde ein Hausarzt vom Vorwurf „unterlassener Hilfeleistung“ freigesprochen.

Zwei Jahre später sprach das Landgericht Ravensburg einen Mann vom Vorwurf der „Tötung auf Verlangen“ frei, der bei seiner todkranken Ehefrau das Beatmungsgerät abgeschaltet hatte. Die Frau litt an einer schweren, mit fortschreitender Lähmung einhergehenden Erkrankung des Rückenmarks. Sie hatte mehrfach geäußert, daß sie auf keinen Fall künstlich beatmet werden wolle, wenn eines Tages auch ihre Atmung versagen würde.

Trotzdem hatte man sie beatmet, als sie nach Erstickungsanfällen das Bewußtsein verlor und ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Als sie wieder zu sich kam, schrieb sie, daß sie „von ganzem Herzen sterben“ wolle, „je schneller, desto besser“, weil ihr dieser Zustand „nicht mehr erträglich“ sei.

Das Gericht bescheinigte dem Ehemann, sie nicht getötet, sondern ihr nur „Beistand im Sterben geleistet“ zu haben. Weil die Beatmung gegen ihren ausdrücklichen Willen begonnen worden sei, sei die Frau auch berechtigt gewesen, deren Beendigung zu verlangen. Jeder, nicht nur der Arzt, habe dieses durch das Grundgesetz verbürgte Selbstbestimmungsrecht und die „Menschenwürde“ eines „urteilsfähigen Patienten“ zu achten, auch wenn er wisse, daß dieser Mensch deswegen sterben werde.

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