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Jelzin ohne Gnade: „Ich bleibe bis zum Jahr 2000“

■ Sichtlich angeschlagener Kremlchef gibt Erklärung ab. Zuvor stimmte er einem Verstaatlichungsprogramm zu. Duma bereitet unbeeindruckt Rentenregelung vor

Moskau (taz) – Rußlands Präsident Boris Jelzin ist wiederaufgetaucht. Er werde nicht zurücktreten, sagte der sichtlich angeschlagene Staatschef gestern abend in einem Fernsehinterview. Ein Rücktritt entspreche nicht seinem Charakter. „Ich gehe nirgendwohin. Ich werde wie vorgesehen mein verfassungsmäßiges Mandat bis zum Jahr 2000 erfüllen.“ Eine nochmalige Kandidatur für das Präsidentenamt schloß Jelzin aus.

Das rund zehnminütige, am Nachmittag aufgezeichnete Interview zehrte offenbar an den Kräften des 68jährigen. Konkreten Fragen nach einer Lösung für die Wirtschaftskrise wich Jelzin aus. Jedoch räumte er ein, daß vor allem die Bevölkerung unter der Krise leide: „Es wäre naiv zu sagen, daß die Menschen nicht zu Schaden kommen.“ Deswegen sei es wichtig, „die Preise zu minimieren, die Anstrengungen hingegen zu maximieren“. Zu den erweiterten Befugnissen von Premierminister Wiktor Tschernomyrdin sagte Jelzin: „Er hat die normalen Befugnisse eines Regierungschefs in westlichen Staaten. Er muß sie nur korrekt anwenden.“ In Zweifelsfällen könne er sich an den Präsidenten wenden. Auf die Frage, wie er sich eine Zusammenarbeit mit der Duma, die ihn in den Ruhestand schicken will, vorstelle, antwortete Jelzin: „Ich habe nicht vor, die Duma aufzulösen, egal wie sehr sie mich bedrängt.“

Zuvor hatten Vertreter von Duma und Regierung über eine mögliche Rentenregelung für ihn und seine Familie verhandelt. Kommunistenführer Gennadij Sjuganow bezweifelte gestern, daß die Vorschläge von Jelzin selber stammen: „Als ich ihn vor vier Tagen gesehen habe, konnte er nicht einmal lesen“ – dafür aber mit Anatolij Tschubais den letzten Reformer aus der Regierung entlassen – zum drittenmal. Tschubais hatte als Chefunterhändler der Regierung mit dem Internationalen Währungsfonds ein Hilfspaket von 22,6 Milliarden Dollar ausgehandelt.

Der Kreml billigte gestern das von der Regierung mit den beiden Kammern des Parlaments ausgearbeitete sogenannte neue Antikrisenprogramm. Das Programm sieht unter anderem die Verstaatlichung von Aktiengesellschaften vor. Tschernomyrdin erklärte gestern, jetzt gehe es darum, diesen Plan umzusetzen und nicht länger Zeit zu verlieren. Damit scheint einer Bestätigung Wiktor Stepanowitsch Tschernomyrdins als Ministerpräsident am kommenden Montag nichts Wesentliches im Wege zu stehen – und danach könnte sich die Frage nach einem Rücktritt Boris Jelzins neu stellen. Der russische Präsident kann rein formal erst dann zurücktreten, wenn ein rechtmäßig gewählter Premier existiert, der zeitweise seine Pflichten übernimmt.

Sollte Tschernomyrdin mit der Umsetzung des neu-alten Programms der Dreierkommission aber Ernst machen und damit einer der Hauptforderungen der Kommunisten zustimmen, geriete er in Widerspruch zum Internationalen Währungsfonds, von dessen Krediten auch seine Regierung abhängen wird. IWF-Direktor Michel Camdessus hatte sich schon am Mittwoch bitter darüber beklagt, daß Moskau zu Beginn der Krise vor zwei Wochen ohne Konsultationen mit seiner Organisation den Wertpapiermarkt lahmgelegt hatte. Ein wenig besänftigt hat ihn offenbar nur Tschernomyrdins Versprechen, schon sehr bald wieder neue Wertpapiere zu emittieren. Die Zentralbank kündigte gestern für Montag die Ausgabe von kurzfristigen Anleihen in Höhe von einer Milliarde Rubel (zum offiziellen Kurs umgerechnet gestern noch 230 Millionen Mark) mit ganzen zwei Wochen Laufzeit an.

Um andere Vorschläge der Dreierkommission wurde geschachert. Die Nachrichtenagentur Interfax meldete unter Berufung auf einen Text des Präsidialamtes, der Kreml habe der Duma zur Rettung von Jelzin einen Handel vorgeschlagen. Demnach will der Präsident nicht von seinem Recht Gebrauch machen, die Duma aufzulösen, wenn diese auf ein bereits angestrengtes Amtsenthebungsverfahren gegen ihn verzichtet. Der Kreml schlug außerdem vor, zur Änderung der Verfassung von 1993, die dem Präsidenten umfassende Vollmachten einräumt, eine Verfassunggebende Versammlung zu bilden. Im Rat der Duma hieß es, die Regelung der Beziehungen zwischen Präsident und Parlament bilde nicht unbedingt eine Voraussetzung für die Wahl Tschernomyrdins zum Premier. Barbara Kerneck

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