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Eskici-Asketismus

■ Die Massenware im türkischen Nadelöhr Einige ausgewählte Handelsgeschichten

Der Eskici – das ist ein türkischer Händler, der mit mehr oder weniger Hingabe Kullanilmiș Eșya (gebrauchte Waren) an- und verkauft. Der Almanci- Poet Feridun Zaimoglu aus Kiel schreibt in seinem Buch „Abschaum“: „Eines Tages, wir sind wieder im Flohmarkt, immer Flohmarkt, mein halbes Leben im Flohmarkt...“

Dies gilt auch für das andere halbe Leben meines Freundes Fikret Genç. Er hat dazu gerade den Laden seiner Bruders übernommen, der sich als Immobilienmakler versuchte und nun in einem Gemüsegeschäft arbeitet. Fikret begann seine Berufstätigkeit als Dolmus-Fahrer in Ankara. 1981 war die politische und soziale Situation dort so, daß er wegwollte. Sein Bruder besaß eine Kohlenhandlung in Berlin, er zeigte eines Tages einer Deutschen ein Foto von Fikret, und sie besuchte ihn daraufhin in Ankara. Die beiden heirateten. „Die ersten beiden Monate in Deutschland waren schrecklich“, meint Fikret. Er kam mit den deutschen Männern nicht klar. Dann begriff er jedoch: „Sie wollten Kraft zeigen, also zeigte auch ich meine Kraft und schlug mit der Faust auf den Tisch. Die Männer haben mich verstanden, und noch am selben Abend habe ich mit Gerd und Ralf Blutsbrüderschaft geschlossen. Danach begann eine gute Zeit für mich... Es gab Arbeit, und für 100 Mark bekam man bei Aldi viele Tüten voller Lebensmittel, die für eine Woche reichten. Ich verdiente 1981 für eine Tonne Kohlenausliefern 24 Mark.“

Später eröffnete Fikret einen Kebabladen. Eine Episode daraus wurde dann als Fotoroman unter dem Titel „Dönerliebe“ in der taz veröffentlicht. Fikret hatte nicht nur unzählige Liebschaften, zeitweilig vermittelte er auch deutsch-türkische Ehen. Er selbst lebte lange Zeit mit einer bulgarisch-türkischen Zigeunerin zusammen. 1994 fuhr er mit seinem roten Mercedes nach Bulgarien zu ihren Eltern. Die Fahrt dorthin, durch Polen, die Ukraine und Rumänien, ähnelte einem Spießrutenlauf: So viele Men in Sportswear trachteten unterwegs danach, ihm das Auto abzunehmen. Aus finanziellen Gründen mußte er den Mercedes anschließend verkaufen. Wieder begann er als Kohlenträger zu arbeiten: Er bekam genau denselben Lohn wie 1981 – „weil die Polen und Ukrainer in Berlin auch für 5 Mark die Stunde arbeiten. Und damals bekam ich am Tag manchmal 300 Mark Trinkgeld – heute sind es oft nicht mehr als 25 bis 30 Mark... Das Sozialleben ist wirklich schlimm geworden, viele Deutschen reagieren böse auf die Arbeitslosigkeit – an der Tankstelle, auf der Straße, im Fahrstuhl, nirgendwo wird man mehr angelächelt... Mein Traum ist, daß in Deutschland alles wieder so wird wie damals, als die Grenzen noch zu waren.“

1996 erwarb Fikret einen alten VW-Transporter, damit kaufte er über Kleinanzeigen in der Zweiten Hand Gebrauchtmöbel auf, die er anschließend auf dem Flohmarkt an der Oranienburger Straße mit Gewinn wieder zu verkaufen versuchte. Der Erfolg war mäßig, um nicht zu sagen entmutigend. Das Geschäft dümpelte dahin, bis Fikrets Bruder seinen Laden aufgab. Damit versuchte er nun noch einmal sein Glück im An- und Verkauf als vollberuflicher Eskici. Der Laden befindet sich in der Ohlauer Straße Nr. 4 in Kreuzberg. Es kommen viele Leute vorbei, außerdem verkehrt dort der 129er-Bus, und Fikret ist ein sehr kommunikativer Mensch, so daß er inzwischen schon eine richtiggehende Laufkundschaft hat und nicht mehr ausschließlich auf die Annoncen in der Zweiten Hand angewiesen ist. Es gibt jedoch heute kaum noch etwas umsonst: „Für alles muß man bezahlen. Am günstigsten sind natürlich die Versteigerungen, weil dort auch größere Posten billig zu haben sind, aber für mich sind sie noch zu teuer.“ Im Endeffekt geht es Fikret wie den meisten Trödlern in Berlin: Ihr Warenangebot besteht fast nur aus Unikaten. Selbst wenn es sich um ehemalige Massenprodukte handelt, sind sie zunächst derart durch einen persönlichen Gebrauch gegangen, daß sie quasi wieder zu einem Einzelstück wurden. 10.000 solcher Gebrauchsgegenstände besitzt jeder Bundesbürger im Durchschnitt. Bei einem Ghanaer sind es nur siebenunddreißig! Welche Dinge braucht der Mensch wirklich? Die große Anzahl wirkt hier wie ein Wohlstandspolster, das nun langsam und notgedrungen abgespeckt wird. Folglich entstehen immer mehr Trödelmärkte, auch im sogenannten Berliner Speckgürtel.

Fikret bekam gerade ein Angebot, einen Trödelmarkt auf dem vielbesuchten Schmachtenhagener Bauernmarkt bei Oranienburg zu organisieren. Er kennt viele Eskici, vielleicht kann er einige seiner Kollegen überreden mitzumachen. Weil man auf dem Land mehr Platz zum Horten von Gegenständen hat als in der Stadt, wäre ein Trödelstand auf dem Bauernmarkt auch und gerade für den Ankauf interessant – und Fikrets warmherzige Art der Kaufverhandlung könnte dort mittelfristig gut funktionieren. Freilich müßte dann während dieser Zeit immer jemand anderes in seinem Laden arbeiten – und das ist ein Problem: „Denn die meisten Kunden kommen meinetwegen. Wenn ich irgend jemand als Vertretung nehme, habe ich bisher noch nie was verkauft.“ Fikret arbeitet auch an seinem Äußeren – so hat er sich z. B. gerade eine Glatze schneiden lassen und betreibt Kampfsport. Helmut Höge

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