: Afrobrasilianische Messe
■ Es muß nicht immer Fußball sein. Das Festival Encontros lockt mit erlesenem Programm und drei Premieren brasilianischer Pop-Acts
Der größte Katzenjammer ist inzwischen vorbei. In Brasilien selbst mögen zwar noch allerhand Verschwörungstheorien kursieren ob der mysteriösen Umstände, welche die unerwartete Endspielniederlage der brasilianischen Millionentruppe gegen Frankreich bei der WM bedingten. In Deutschland aber ist man allgemein längst wieder zur Tagesordnung zurückgekehrt. Für die Berliner Gemeinde eingeschworener Brasilien-Fans bietet sich an diesem Wochenende jedoch eine günstige Gelegenheit, die bereits eingemotteten grün-gelben Fahnen noch einmal aus dem Keller zu holen. Denn das Festival Encontros lockt mit erlesenem Programm und ganzen drei Premieren.
Ganz vorne auf der Gästeliste stehen die Bewohner der Cidade Negra, der „Schwarzen Stadt“. Die brasilianische Reggae-Ragga- Gruppe stammt aus Baixada Fluminense, einem bekannten Favela- Vorort Rios, und wird am heutigen Freitag zum ersten Mal in Deutschland auftreten.
Das eigentliche Fest steigt aber erst am Samstag, zum brasilianischen Nationalfeiertag am 5. September. Die Encontros-Einladung an „Os Cahorros das Cahorras“ (wörtlich übersetzt soviel wie „die Hunde der Hündinnen“) aus Brasilia bringt auch diese ungewöhnliche Band, die den Forro-Sound des Nordostens mit Rock und Samba- Funk verbindet, zum ersten Mal nach Europa. Da diese selbst über einige beachtliche brasilianische Musiker verfügt, ist auch von dieser Seite für Unterstützung gesorgt.
Den Höhe- und Ruhepunkt des Festivals wird jedoch zweifellos das erste deutsche Konzert von Virginia Rodrigues bilden. Die 33jährige ist erst seit kurzem ein Begriff in der Musikszene Brasiliens, doch ihr Name wird bereits hoch gehandelt. Mit ihrer Ausstrahlung und ihrem Wissen um die Ursprünge brasilianischer Kultur hat sie das Potential, auch musikalisch zum Schwergewicht zu werden. Virginia Rodrigues Stärke ist ihr musikalischer Hintergrund. Denn ihr getragener Soprangesang, meist nur zurückhaltend rhythmisch begleitet, führt direkt zu den spirituellen Wurzeln des Samba, zu Candomblé-Liedern und katholischer Barockmusik. Auf ihrem ersten Album „Sol Negro“ verschmelzen diese Elemente zur Einheit einer afrobrasilianischen Messe, die den Göttern der diversen kulturellen Quellen huldigt.
Virginia Rodrigues „Entdeckung“ entspricht der klassischen Aschenputtelgeschichte, wie sie das Musikgeschäft so gerne schreibt: Noch vor kurzem mußte die füllige Sängerin aus Salvador/ Bahia ihr Geld als Hausmädchen und Köchin verdienen, heute steht die 33jährige vor einer internationalen Karriere. Sie sang in der Kirche und begleitete das Straßentheatergruppe von Olodum, dem wahrscheinlich berühmtesten Selbsthilfeprojekt Brasiliens. Heute gehört Caetano Veloso zu ihren Förderern, und an ihrem Debüt wirkte die erste Garde brasilianischer Songwriter mit. Es gibt eben doch Wunder – nicht nur im Fußball. Daniel Bax
Cidade Negra am Freitag ab 21 Uhr, Encontros-Festival am Samstag ab 20 Uhr im HdKdW, John- Foster-Dulles-Allee 10, Tiergarten
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen