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„Mann, hat der geredet!“

Wahlkämpfer zum Anfassen: Im Altonaer Gymnasium Allee gehören die Direktkandidaten des Bezirks zum Unterricht  ■ Von Judith Weber

Nicht, daß der Gemeinschaftskundekurs etwas für Chaoten übrig hätte. Vernünftig sehen die SchülerInnen aus, wie sie so an ihren Tischen sitzen, als ob man mit ihnen reden könnte. Und genau dafür ist er ins Altonaer Gymnasium Allee gekommen, der CDUler Ludger Staby, der in knapp drei Wochen in den Bundestag einziehen möchte. Wählen könnten ihn auch die 20 Jungen und Mädchen in dem Klassenzimmer mit den abgeschabten Tapeten, doch das weiß Staby nicht. Er hält sie für zu jung, unter 18 mit Sicherheit, nicht reif für den Urnengang.

Die Stimmen der meisten GymnasiastInnen, das ist schon nach Minuten klar, bekommt er ohnehin nicht. „Das hier ist Bildzeitungsjargon“, schimpft Katrin und lupft das CDU-Wahlprogramm, das vor ihr auf dem Pult liegt. Was es heißen solle, wenn die Christdemokraten schreiben, sie wollten „das Pennertum“ beseitigen, und wer seien „die Chaoten“, deren Leben die Partei wesentlich erschweren will? Nicht, daß Katrin es mit Chaoten hielte. Aber „von einer Volkspartei erwarte ich da schon ein bißchen mehr“. Der flapsige Konter des Unionsvertreters, man meine damit „einfach gesagt: Penner und Chaoten“, bewirkt kein Lächeln.

In den kommenden Wochen wird die angehende Abiturientin noch Gelegenheit haben, Schelte oder Lob bei VertreterInnen der Grünen, der SPD und der FDP loszuwerden. Die DirektkandidatInnen der vier großen Parteien hat ihr Gemeinschaftskundekurs zum Gespräch geladen, jede Woche eineN, bis zum 27. September. „Unterrichtseinheit Bundestagswahlen“ nennt Lehrer Heinz-Gerhard Ude das.

Was eine Erst- von einer Zweitstimme unterscheidet, hat er mit seinen SchülerInnen in den vergangenen Wochen erörtert. Die Sache mit den Überhangmandaten haben sie durchschaut und Tabellen zum Hare-Niemeyer-Verfahren an die Tafel gezeichnet, jener irritierend logischen Rechenmethode, mit der in Deutschland ermittelt wird, welche Partei wie viele Sitze im Parlament bekommt. „Mittlerweile kann ich sagen: Der Kurs gehört zu den fünf Prozent der Bevölkerung, die das Wahlsystem verstanden haben“, strahlt Ude.

Über den höflichen Versuch des CDU-Kandidaten, den Unterschied zwischen Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht zu erklären, können die GymnasiastInnen daher nur lachen. Sie kennen beides, und sie haben Ahnung von den politischen Mehrheiten in Altona. Mag Staby noch so inbrünstig versichern, daß er sich als Direktkandidat aufstellen ließ, um „den richtig harten Wahlkampf, Mann gegen Mann“ zu erleben: „Ich möchte mal behaupten, daß es nicht so wahrscheinlich ist, daß Sie in den Bundestag gewählt werden“, analysiert Katrin. Ob der CDUler schon wisse, was er ab Oktober mit seiner freien Zeit macht? Zeitgeschichte studieren, antwortet der ehemalige Vorstandschef der Zigarettenfirma Reemtsma. „Ich werde mich schon nicht zu Tode langweilen.“

Unter anderem diese Antwort wird ihm nach der Stunde das Lob von Heinz-Gerhard Ude eintragen. „Er hat keine Antwort gescheut“, freut sich der Gemeinschafts- und Erdkundelehrer. Und erst die SchülerInnen – „die hatten Biß“.

Zwischen Kapuzenpullis, Pferdeschwänzen und Turnschuhen sieht der Christdemokrat Staby im Klassenzimmer irritierend akkurat aus. Im Anzug sitzt er da, wie vor 45 Jahren, als er noch zur Schule ging und als die Studienstufe noch Obersekunda hieß. Damals gab es noch keine gelblichen Rauhfasertapeten, auf denen mit Edding jemand Herzchen gemalt und Unterschriften geübt hat. Damals, nach dem Krieg, sagt Staby und klingt wie jemand, der sich seiner uneinholbar harten Vergangenheit bewußt ist, „da haben wir auf der Straße Steine geklopft. Ich weiß“, wettert er, „wie man mit einem Brikett die ganze Nacht den Ofen warm hält.“

Da soll ihn nochmal jemand fragen, was Timur gerade wissen wollte, nämlich ob „Sie auch unseren Hof fegen würden, wenn Sie Sozialhilfe bekämen?“ Staby zögert, setzt seine Lesebrille ab und sagt: „Es kommt drauf an, was Ihr dafür bietet.“

Zu gerne wüßte Lehrer Ude, wie viele seiner SchülerInnen den CDUler wählen werden. Er könnte es genau herausfinden, aber das wäre gegen die Spielregeln: Die Stimmkarten, die der Kurs in der vorigen Stunde ausgefüllt hat, stecken fest in einem Umschlag, und der darf erst geöffnet werden, wenn alle PolitikerInnen da waren. Dann wird nochmal gewählt, auf daß ein Ergebnisvergleich Aufschluß gebe darüber „wie sehr solche Veranstaltungen beeinflussen“.

An Staby beeindruckt besonders seine Rhetorik, findet eine Schülerin. „Mann, hat der geredet“, staunt sie. „Und ich dachte, ich könnte labern.“ Der Bundestagskandidat ist zufrieden ob des Interesses „junger Menschen“ an Politik – „auch wenn noch keiner von Ihnen wählen darf“, setzt er hinzu. „Doch, alle!“ tönt es zurück, und Stabys Lächeln gerät für einen Moment aus den Fugen.

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