piwik no script img

Lebenslang für den Völkermord-Premier

Der Ministerpräsident Ruandas während des Völkermordes, Jean Kambanda, erhält trotz seines Schuldeingeständnisses vom Ruanda-Tribunal der UNO die Höchststrafe und soll nun als Kronzeuge dienen  ■ Aus Arusha Peter Böhm

Bei den Vertretern der Anklage herrschte nach der Urteilsverkündung eitel Sonnenschein. Noch im Gerichtssaal stellten sie sich zum Gruppenfoto auf. Schultern wurden geklopft, Glückwünsche ausgetauscht. Beim Verurteilten dagegen das genaue Gegenteil: Mit gesenktem Kopf wurde er abgeführt. Seinen Anwalt, der ebenfalls niedergeschlagen wirkte, würdigte er keines Blickes.

Die erste Kammer des internationalen Völkermordtribunals für Ruanda im tansanischen Arusha verurteilte Jean Kambanda gestern wegen Völkermordes und fünf damit zusammenhängenden Vergehen zur Höchststrafe: lebenslänglich. Kambanda, Ministerpräsident Ruandas während des Völkermordes von 1994, hatte sich als einziger der in Arusha Angeklagten zu seinen Verbrechen bekannt. Er hatte sich bereit erklärt, gegen Mittäter auszusagen, und hatte im Gegenzug eine Verkürzung seiner Strafe erwartet.

Das Gericht erkannte in seiner Urteilsbegründung zwar an, daß Kambanda durch seine weitreichenden Aussagen mildernde Umstände zukämen. „Diese können jedoch nicht die Schwere seiner Verbrechen sowie seine erhebliche Verstrickung und Verantwortung als Regierungschef aufheben und gar mildern“, sagte Laiti Kama, Präsident der ersten Kammer und gleichzeitig Gerichtspräsident.

Dem stellvertretenden Leiter der Anklage, Bernard Muna, zufolge sieht die Vereinbarung, die mit Kambanda getroffen und von seinem Anwalt unterzeichnet wurde, lediglich den Schutz von Kambandas Familie vor Racheakten vor. Kambanda müsse jedoch nach seiner Verurteilung mit der Anklage zusammenarbeiten und in zukünftigen Prozessen als Kronzeuge aussagen.

Der 44jährige Jean Kambanda galt bis 1994 als vergleichsweise moderater Politiker in Ruanda. Nach einem Wirtschaftsstudium arbeitete er von 1985 bis 1989 bei einer Kette ruandischer Banken und war bis 1994 deren Direktor. Er war eine der treibenden Kräfte bei der Gründung der Oppositionspartei MDR 1991, wurde Mitglied des Politbüros und Vizepräsident der Partei in ihrer Hochburg Butare. Als es 1993 um die Bildung einer breiten Regierung in Ruanda ging, schlug ihn seine Partei als Regierungschef vor, zog ihn später jedoch zugunsten von Faustin Twagiramungu zurück. Nachdem Staatschef Juvenal Habyarimana am 6. April 1994 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, schickten die Hutu- Extremisten in der Armee, der ehemaligen Einheitspartei MRND und in den Hetzmedien Kambanda nach vorn, um der von ihnen neu gebildeten Regierung die internationale Anerkennung zu erleichtern. Die hochrangigen Militärs überlegten zunächst, ob sie selbst offiziell die Macht übernehmen sollten – am 8. April fiel die Wahl jedoch auf Kambanda.

In seinem Plädoyer am Donnerstag versuchte sein kamerunischer Anwalt Olivier Inglis deshalb, Kambanda als „Marionette“ darzustellen, an deren „Fäden die Militärs zogen“. Am 8. April 1994 sei ihm die Bestimmung zum Regierungschef eröffnet worden, dann habe man ihn zu einer Militärakademie gebracht, um am nächsten Tag den Amtseid abzulegen. „Er hatte keine Chance, abzulehnen“, sagte Inglis. „Sein Leibwächter, ein Hauptmann der Armee und persönlicher Sekretär von Armeechef Theoneste Bagosora, war ständig bei ihm. Er bestimmte, wer zu Kambanda durchkam und wer mit ihm sprechen durfte.“

Kambanda bekannte sich bei seinem ersten Auftritt in Arusha am 1. Mai schuldig, und das Tribunal hat 90 Stunden von ihm auf Band, ohne die wohl die verbesserten Anklagen gegen andere Beschuldigte, die Planung und Steuerung des Genozids überzeugend darlegen, niemals möglich gewesen wären. Sein Anwalt forderte daher auf, ihm symbolisch „die Hand zu reichen“. Er verlangte für seinen Mandanten eine zweijährige Haftstrafe.

Das Gericht sah jedoch die dunkle Seite Kambandas durch seine Zusammenarbeit mit dem Tribunal nicht aufgehoben. Es erinnerte an Kambandas Tätigkeit während des Völkermordes: Er rief in öffentlichen Ansprachen zu Massakern auf, verteilte Waffen, bekannte sich öffentlich zum Hetzradio Mille Collines und lobte sein Programm, leitete Kabinettssitzungen, auf denen Massaker thematisiert und die Legalisierung von Milizen entschieden wurden. Die Richter kritisierten außerdem, daß Kambanda Reue erst nach seiner Verhaftung zeigte, und fanden seinen Gesinnungswandel wenig glaubwürdig.

Die Chance, seine Beweggründe vor dem Gericht selber darzulegen, ließ Kambanda am Donnerstag ungenutzt verstreichen. Laiti Kama begründete auf einer Pressekonferenz das strenge Urteil mit dem Auftrag des UN-Sicherheitsrates an das Tribunal: „Die Kette der Straflosigkeit in Ruanda zu durchbrechen und eine entschiedene Botschaft an die Personen zu geben, die sich solch schwerwiegender Verbrechen schuldig machen, daß sie künftig nicht ungeschoren davonkommen werden.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen