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Vergnügungspioniere auf der Baustelle

Schon am ersten Wochenende erwies sich das neue CinemaxX am Potsdamer Platz als Publikumsmagnet. Nicht die Filme, sondern die Szenerie aus Stahl und Glas lockte die Besucher auf die Insel inmitten der Betonwüste  ■ Von Andreas Leipelt

„Herzlich willkommen! Wir freuen uns über das Interesse an unserem Haus.“ Die von dem charakteristischen Gong eingeläutete Lautsprecherstimme erinnert an einen Bahnhof. Zu Hunderten haben sich Neugierige ihren Weg durch die Bauzäune am Potsdamer Platz gebahnt – der vom CinemaxX ausgeworfene Vernügungsköder wird bereitwillig geschluckt: „Bitte weichen Sie auf unsere Spätvorstellungen aus, wenn Ihr Wunschfilm bereits ausverkauft ist.“ Ein Raunen geht durch die Menge, die gegen die sechs Kassen brandet. Es ist Samstag abend 20.14 Uhr im neuen CinemaxX am Potsdamer Platz.

„Ausverkauft“ ist ein häßliches Wort. Es liegt bereits quer über einigen Filmen, die auf sieben Edelstahlbildschirmen angekündigt werden. Die von sechs Diaprojektoren an die Wand hinter den Kassen gestrahlten Filmmotive können die Leute nicht länger ablenken. „Auch wenn Sie vorbestellt haben: Stellen Sie sich bitte hinten an, Ihre Reservierung bleibt erhalten.“ In adretter Uniform mit lila Samtschleife sorgt die junge Frau dafür, daß die Besuchermassen den Sicherheitsabstand zu den Kinokassen einhalten.

Wie von den Schaltern der Deutschen Bundesbahn gewohnt, dürfen die Kunden nur einzeln vortreten. Immer wieder versuchen Wartende, über die Flanken ein Ticket zu ergattern. Doch die schicke CinemaxX-Angestellte bleibt freundlich: „Normalerweise haben wir ja eine Kasse für reservierte Karten, aber Sie sehen ja selbst ...“

Mit diesem Ansturm hatte man offensichtlich nicht gerechnet. Um viertel nach acht drängen sich noch über dreihundert Kinogänger in dem 20 Meter hohen Foyer aus Glas, Stahl und Beton. „Die Werbung läuft sicher schon.“ – „So viel Umsatz machen die nie wieder!“ – „Ein normales Kino hat nicht so viele Säle oder?“ Dingdong: „Liebe Gäste, wir bitten Sie nochmals um Geduld. Seit 20 Uhr fängt jede Vorstellung eine Viertelstunde später an. Ich wiederhole ...“

Mit offenem Mund stehen Neuankömmlinge vor der Fassade des Kinos und recken ihre Hälse. Eine junge Wachfrau im schwarzen knielangen Ledermäntelchen tuschelt mit ihrem Vorgesetzten: schwarzer Rolli, Walkie-Talkie, Knopf im Ohr. Auf vier Etagen bedient eine Armada von Servicekräften die Knabberwünsche der Kinogänger. Letzte Nachzügler hasten auf der Suche nach ihrem Film treppauf und treppab.

„Mehr als nur Kino“ verspricht das CinemaxX und verzichtet auf jede Romantik. Hits aus Trainspotting und Pulp-fiction für die Ohren, Filmbildchen für die Augen, nichts fürs Herz: Hinter den Türen von 19 klimatisierten Sälen bieten 3.566 samtene Luxussessel 1,20 Meter Beinfreiheit. Zehn große und neun kleine Amphitheater trumpfen mit stufenweise ansteigenden Sitzreihen auf. Digitale Tonqualität verspricht hohe Klangtreue. 90 Vorstellungen pro Tag. Eine Filmabfertigungsanstalt der Superlative, die durch die kleinen Studios mit 40 bis 50 Plätzen einen besonderen cineastischen Service bietet: „City of Angels“ läuft in englischer und in französischer Sprache, Mitte September startet „Frühstück bei Tiffany“.

Ein Logenplatz kostet 16 Mark, doch ein Balkon ist nicht zu sehen. „Loge ist in der Mitte, da ist der Ton am besten.“ Lächelnd verweist die Kartenabreißerin auf die blau blinkenden Sitzreihen.

Hans-Joachim Flebbe, Vorstandsvorsitzender der CinemaxX AG, hat mit seinem Multiplex vorzeitig einen attraktiven Keil in die tote Investitionslandschaft des debis-Geländes getrieben. Eine Abspielstätte mit Sogwirkung. Denn die Kinobesucher kommen nicht, um Filme zu sehen, sondern eben, um das neue Kino zu besuchen: „Aus Neugier“, „um einfach mal zu schauen“, oder um das neue Prestigeobjekt Besuchern aus dem Wessiland zu zeigen.

Die Architekturstudentin Marion Göbbeler vermißt das Pompöse, kann sich jedoch für architektonische Feinheiten begeistern. „Die Betonwand rechts oben zum Beispiel wurde einfach golden angestrichen.“ Thomas Votteler, ebenfalls Student, hält das Ganze für ein Zugpferd, „um den Potsdamer Platz zu beleben“. Aber er kann sich durchaus vorstellen, daß die Rechnung aufgeht, das MultiplexX im Jahre 2000 zum Hauptspielort der Berlinale zu machen. Thomas hat den weiten Weg von Friedrichshain ausschließlich gemacht, um das neue Filmfestspielhaus zu besichtigen – er hat sich nicht mal einen Film angeguckt.

22.30 Uhr. Über verschiedene Ebenen ergießt sich der Strom der Besucher nach draußen. Dort verharren sie mit hochgezogenen Schultern wie Statisten in einem Endzeit-Thriller. Die Kulisse jedoch ist beklemmend realistisch: Nieselregen glitzert im Licht der Nachtbaustelle und fegt durch die unbelebten, unfertigen Hochhausschluchten. Mit Blick auf diese Szenerie beleben die Heimgehenden die neuen Straßen. Im Kino vier läuft „Dark City – eine Stadt ohne Namen, ohne Vergangenheit, ohne Zukunft“.

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