: Der linke Elchtest am rechten „Tag der Heimat“
■ Nur etwa hundert Teilnehmer kamen gestern zur Demonstration gegen die Vertriebenenverbände nach Charlottenburg. Sie sangen das Ostpreußenlied zur Melodie von „Alle meine Entlein“
Sicherheit war großgeschrieben am Eingang der Sömmering-Halle. Selbst die „Erlebnisgeneration“ der Vertriebenen kam gestern nicht umhin, am 49. „Tag der Heimat“ in Charlottenburg das Innerste nach außen zu kehren. „Das ist wohl wegen der linken Chaoten“, meinte ein hochbetagter Sudetendeutscher und öffnete willig seine Tasche. Dann durfte er eintauchen in die Welt der Ewigvertriebenen, vorbei an Bücherständen mit mitteldeutschem Kulturgut und jugendlichen Trachtenträgern, von denen nur einige wenige den Eindruck machten, als würden sie sich nicht besonders wohl fühlen in ihrer Haut.
Von den „linken Chaoten“ war gestern allerdings nicht viel zu sehen und zu hören. Selbst die Ankündigung, daß Dieter Kunzelmann, der berühmteste aller Berlin-Vertriebenen, zu diesem Anlaß wieder auftauchen würde, hatte seine Wirkung verfehlt. Nur etwa hundert Teilnehmer waren zur Gegendemonstration unter dem Motto „Nie wieder Heimat“ gekommen. Und so blieb den Veranstaltern nichts anderes übrig, als aus der Not eine Tugend zu machen, die in Deutschland, zumal in der Linken, nicht selbstverständlich ist: mit Humor und einem Schuß Selbstironie durchs Programm zu führen. Immerhin hatte sich Moderator Dr. Seltsam vorgenommen, den Vertriebenen zur Melodie von „Alle meine Entchen“ das Ostpreußenlied vorzuschmettern, in dem es unter anderem heißt: „Elche stehn und lauschen in die Ewigkeit“.
Unterdessen lauschten einige Meter entfernt in einem Hotel die Medienleute den ewigen Wahrheiten der neuen Vertriebenen-Chefin Erika Steinbach. Genau in dem Moment, in dem Steinbach auf ein Grußwort von Bundeskanzler Helmut Kohl verwies, in dem dieser sich dafür einzusetzen versprach, daß auch die Vertriebenenverbände bei den EU-Beitrittsverhandlungen Gehör finden, verschaffte sich ein unerwünschter Gast Beitritt und Gehör. Zusammen mit zwei weiteren Personen war es der bündnisgrünen Abgeordneten Judith Demba gelungen, ein Transparent mit der Losung der Gegendemo zu entrollen. Die Kameras schwenkten kurz, dann schwenkten sie zurück. Erika Steinbach durfte sich wieder dem Bundeskanzler widmen.
Kurz darauf begannen in der Sömmering-Halle die Teilnehmer des „Tags der Heimat“ ihren Elchtest. Sie lauschten den Ewiggestrigen und fielen nicht um. Zumindest nicht wegen irgendwelcher Chaoten. Uwe Rada
Seite 2
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen