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Aufseher zittern hinter Gittern

■ Immer mehr Justizvollzugsbeamte lassen sich vorzeitig pensionieren, weil sie sich eingesperrt fühlen. 25 Fälle allein im vorigen Jahr. SPD-Abgeordnete kritisiert "leichtfertige" Bescheinigungspraxis. Kosten

Die Zahl der Justizvollzugsbeamten, die wegen einer Phobie gegen vergitterte Fenster und verschlossene Räume in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wurden, ist stark angestiegen. Die Sprecherin der Justizverwaltung, Svenja Schröder, bestätigte der taz, daß allein im vergangenen Jahr 25 Beamte im Alter von weniger als 40 Jahren in Pension gegangen seien. „In der Mehrzahl der Fälle war eine psychische Erkrankung der Grund für die Dienstunfähigkeit“, sagte Schröder.

Neben der Klaustrophobie, also der Angst, sich in geschlossenen Räumen aufzuhalten, könne bei Justizvollzugsbeamten die psychische Belastung beim Umgang mit den Inhaftierten zu sogenannten Angststörungen führen, erläutert der Bochumer Psychologe Gregor Müller. Eine solche Phobie sei aber meistens schwer zu diagnostizieren. Daher müßten sich die Ärzte auf die Angaben ihrer Klienten verlassen. Ist die Angststörung aber einmal als Phobie charakterisiert, sind die Heilungschancen nach Müllers Angaben sehr gut.

Hans-Georg Lorenz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, bezeichnete die Frühpensionierungen als „Skandal“. Nicht immer seien die Justizbeamten wirklich krank. „Es gibt Beamte“, so Lorenz, „die planen ihre Dienstunfähigkeit schon lange im voraus.“ Häufig sei die „Knastmacke“ Bestandteil der persönlichen Lebensplanung. Lorenz kritisiert vor allem, daß die Staatsdiener keine Tätigkeit außerhalb der Gefängnismauern aufnehmen müssen, sondern gänzlich vom Staatsdienst befreit werden und für den Rest ihres Lebens Pensionen beziehen.

Jeder der jungen Ruhestandsbeamten erhält eine monatliche Pension von mindestens 2.120 Mark. Das geht aus einer Antwort von Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) auf eine kleine Anfrage der SPD-Abgeordneten Jutta Hertlein hervor. Hochgerechnet auf die lange Lebenserwartung der jugendlichen Pensionäre kosten die ehemaligen Gefängniswärter das Land also mehrere Millionen Mark. Schönbohm wies jedoch darauf hin, daß vorzeitig in den Ruhestand versetzte Beamte nach dem Berliner Landesbeamtengesetz innerhalb einer Frist von zehn Jahren „reaktiviert“ werden könnten, sofern die Dienstfähigkeit wiederhergestellt ist. Die Dienstunfähigkeit werde meist nach ein oder zwei Jahren nochmals überprüft.

Die SPD-Abgeordnete Hertlein vermutet, daß „willfährige“ Ärzte die psychischen Erkrankungen „leichtfertig“ bescheinigten. Zahlreiche Atteste seien von einem einzigen Arzt in Wilmersdorf ausgestellt und vom Gesundheitsamt Reinickendorf bestätigt worden. Schönbohm erklärte jedoch, dem Senat lägen „keine Erkenntnisse“ über eine solche Praxis vor. Thomas Müller

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