: Die „Lady“ war ein Schock
■ Tief im Badischen greift ein Bürgermeister zum Elektroschocker vom Typ „Lady“, nachdem seine Mutter Streit mit einem Nachbarn hat. Die Gemeinde hatte das Gerät kurz zuvor gekauft
Grenzach-Wyhlen (taz) – Die Waffe stammt aus dem Rathaus. Der Bürgermeister der südbadischen Gemeinde Grenzach-Wyhlen, Hans-Joachim Könsler, ist mit einem gemeindeeigenen Elektroschocker auf einen jungen Mann losgegangen.
Zu dem Angriff, der jetzt von der Staatsanwaltschaft Lörrach bestätigt wurde, war es bereits am 25. Juni gekommen. Anlaß war ein Streit zwischen dem 28jährigen Mann und der 84jährigen Mutter des Bürgermeisters. Die beiden wohnen im selben Haus. Die Auseinandersetzung eskalierte offenbar in mehreren Schritten. Der junge Mann war an besagtem Abend mit Freunden spät nach Hause gekommen und anscheinend im Treppenhaus laut gewesen. Die 84jährige Mutter des Bürgermeisters stellte ihn zur Rede. Daraufhin habe der 28jährige sie beleidigt und in ihre Wohnung zurückgedrängt, erklärt die alte Dame, die ihrem Kontrahenten vorwirft, er sei sogar handgreiflich geworden. Jedenfalls habe sie anschließend gleich ihren Sohn, den Bürgermeister angerufen. Dieser kam – und brachte den Elektroschocker aus dem Rathaus mit.
Nach Angaben des Opfers hat Bürgermeister Könsler an der Tür des jungen Mannes geklingelt. Der Rathauschef soll ihn nach seinem Namen gefragt und ihm daraufhin den Elektroschocker in den Magen gedrückt und abgefeuert haben. Den 28jährigen hat die Wucht der elektrischen Entladung nach hinten weggeschlagen, so daß er bewegungslos am Boden lag. Das bestätigte gegenüber der Polizei auch seine Freundin, die den Vorfall beobachtet hatte. Nach dem Angriff ging der Bürgermeister in die Wohnung seiner Mutter zurück. Als er eine Viertelstunde später das Haus wieder verließ, hat ihn der 28jährige fotografiert.
Besonders prekär wird der Fall, weil an diesem Abend offensichtlich der gemeindeeigene Elektroschocker zum ersten Mal eingesetzt wurde. Das Ordnungsamt in Grenzach-Wyhlen hatte erst im Februar und März vier der Geräte gekauft. Es handelt sich dabei um sogenannte „Originalparalyser“ mit einer Stromspannung zwischen 60.000 und 75.000 Volt. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Lörrach setzte der Bürgermeister bei seinem Angriff ein Gerät namens „Lady“ ein.
Als die Lokalredaktion der Badischen Zeitung vor einem Monat Näheres über den Kauf dieser Geräte wissen wollte, verweigerte ihr die Gemeindeverwaltung zunächst jede Auskunft. Nach einer schriftlichen Anfrage ließ das Rathaus dann von einem Freiburger Rechtsanwaltsbüro prüfen, ob und inwieweit es Details preisgeben müsse. Zuvor erklärte bereits der Leiter des Ordnungsamtes, Jürgen Käuflin, daß die Anschaffung der Elektroschocker im verborgenen bleiben solle. „Wir bauen auf den Überraschungseffekt.“ Deshalb, so Käuflin damals, werde er sich auch dafür einsetzen, daß die Verwaltung die Informationen nur herausrücke, wenn sie juristisch dazu gezwungen sei. Nach drei Wochen kam die Antwort per Fax vom stellvertretenden Bürgermeister: Die Gemeinde hat die Elektroschocker gekauft, um sich vor „zu Gewalttätigkeiten neigenden Personen und gefährlichen Tieren zu schützen“.
Bürgermeister Hans-Joachim Könsler selbst macht zu dem Fall nun schon seit zwei Monaten keine Angaben. Der Staatsanwalt Otto Bürgelin, der die Ermittlungen leitet, neigt gleichwohl dazu, den Fall demnächst „wegen mangelnden öffentlichen Interesses“ einzustellen. Schießlich habe der Bürgermeister nicht im Dienst gehandelt. Die Auseinandersetzung, so die Einschätzung des Staatsanwalts, sei wohl „ein klassischer Nachbarschaftsstreit“. Auch die Nachricht, daß Könsler einen gemeindeeigenen Elektroschocker bei seiner Privatattacke benutzt habe, sei nun „kein wesentlicher Punkt in der Beurteilung des Falls“. Der junge Mann könne sein Recht ja im Rahmen einer Privatklage erstreiten. Markus Grill
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