: Der Länderrat tankt Mut
Auf ihrem „Kleinen Parteitag“ beschließen die Grünen ein Programm für die Zeit nach einem Wahlsieg ■ Aus Germering Stefan Kuzmany
„Wir wollen uns von dem derzeitigen Umfragetief nicht entmutigen lassen.“ Als Joschka Fischer spricht, werden plötzlich, endlich alle ganz still. Sein Wunschpartner Gerhard Schröder ist nicht im Saal, und doch hat Fischer ihn fest im Blick: „Mit uns gibt es keine Vorbedingungen für Koalitionsverhandlungen“, sagt er und setzt nach, die grünen Forderungen, das sollte Schröder durchaus wissen, seien „keine Vorbedingungen, sondern Selbstverständlichkeiten“. Sich Mut anreden für die Wahl, sich Mut anreden für die Zeit danach – dies war der eigentliche Zweck der gestrigen Tagung des bündnisgrünen Länderrates in Germering bei München.
Offiziell stand im Mittelpunkt dieses „Kleinen Parteitags“ der Vorstandsentwurf „Eine neue Politik für die Bundesrepublik – Einstieg in eine grüne Reformpolitik 1998“. Doch auch wenn sich grüne Funktionsträger umständehalber in wahlkämpferischen Reden äußern durften, stand der Reformentwurf inhaltlich längst fest.
An erster Stelle ihres 100-Tage- Programms steht auch für die Grünen das Thema Arbeitsplätze. Ein „echtes“ Bündnis für Arbeit unter Beteiligung der Sozialverbände und Arbeitsloseninitiativen soll durch Arbeitszeitverkürzungen die Erwerbsarbeit „gerechter verteilen“. Konkreteres war dazu auf dem Parteitag nicht zu erfahren, dafür ist heute kein Platz, und im übrigen, meint ein Delegierter: „Es kommt immer anders, als man denkt.“
Vielleicht auch bei den grünen Vorstellungen einer Steuerreform: Menschen, die wenig Geld verdienen, sollen entlastet werden, das Existenzminimum auf 15.000 Mark und das Kindergeld auf 300 Mark erhöht, der Eingangssteuersatz auf 18,5 Prozent gesenkt werden. Jugendarbeitsplätze wollen die Grünen durch ein Umlageverfahren fördern: Unternehmen, die über Bedarf ausbilden, sollen entlastet, die anderen zur Kasse gebeten werden. Studiengebühren wollen die Grünen verbieten. Als Einstieg in eine ökologisch-soziale Steuerreform fordern sie eine europäische Energiesteuer, der Ausstieg aus der Atomenergie soll „schnellstmöglich“ stattfinden und ist für die Fraktionssprecherin im Bundestag, Kerstin Müller, eine Bedingung für eine Zusammenarbeit mit der SPD: „Ohne Atomausstieg kein Rot-Grün“ – Zeitpläne dafür spielen im 100-Tage- Programm jedoch keine Rolle mehr. Alle in Deutschland geborenen Kinder sollen einen deutschen Paß bekommen, wenn mindestens ein Elternteil hier dauerhaft seinen Lebensmittelpunkt hat, die Anerkennung der doppelten Staatsbürgerschaft halten die Grünen für überfällig.
Die Grünen bleiben am Sonntag fast unter sich. Von draußen, durch die Glastür, blickt ein älterer Herr herein, ein Einheimischer. Kohl kann er nicht mehr sehen, erzählt er, und der Stoiber verzapft auch nur Geschichten. Was er wohl wählt? „Natürlich wieder CSU.“
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