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Ein Erbe, das schwer auf Potsdam liegt

Das Potsdam-Center sollte das Vorzeigeobjekt in der brandenburgischen Landeshauptstadt werden. Kritiker warnten frühzeitig vor dem Megabau, heute streiten die Stadtverordneten über die Größe der Ladenflächen  ■ Aus Potsdam Jutta Wagemann

Potsdam müßte eigentlich zu beneiden sein. Es hat außergewöhnliche Attraktionen wie das Schloß Sanssouci und ist umgeben von einer Garten- und Seenlandschaft, die so unvergleichlich ist, daß die Unesco sie zum Weltkulturerbe erklärte. Doch wenn Brandenburgs Umweltminister Matthias Platzeck (SPD) seine Kollegen aus den anderen Bundesländern trifft, stößt er auf Mitleid: Ausgerechnet in Potsdam wolle er Oberbürgermeister werden, der Arme. Denn die brandenburgische Landeshauptstadt macht seit Jahren nicht mit ihrem historischen Erbe Schlagzeilen, sondern mit dessen Zerstörung. So sehen es zumindest die Kritiker der städtischen Baupolitik.

Die „Arbeitsgemeinschaft Umweltschutz und Stadtgestaltung (Argus)“, 1988 von DDR-Bürgerrechtlern, darunter Platzeck, gegründet, kann sich nur mit einer „behutsamen Stadtentwicklung“ anfreunden. Das heißt für sie, möglichst wenig in die historischen Strukturen einzugreifen. Das aktuelle Streitobjekt der Kommunalpolitik, das Potsdam-Center, ist für sie ein Paradebeispiel für die Verschandelung der einstigen Residenz- und Garnisonsstadt. Vermutlich hat seit des Abrisses des Stadtschlosses 1959 nichts mehr die Stadt so gespalten wie das neue Büro- und Geschäftszentrum am Bahnhof, das im Rohbau fertig ist. An diesem Mittwoch wollen die Stadtverordneten erneut über die Größe des Objekts verhandeln.

200.000 Quadratmeter sollte der 21 Meter hohe Gebäudekomplex ursprünglich haben, davon 30.000 Quadratmeter Ladenfläche – soviel wie die gesamte Potsdamer Innenstadt. SPD und PDS, die beiden stärksten Fraktionen in der Stadtverordnetenversammlung, hatten sich auf diese Größe geeinigt. Ohne Architektenwettbewerb wurde das Projekt einem Londoner Großplanungsbüro in Auftrag gegeben.

Das Center sollte attraktiven Büroraum bieten, denn Potsdam wollte auch vom Regierungsumzug profitieren. Oberbürgermeister Horst Gramlich (SPD) hoffte auf zahlungskräftige Lobbyorganisationen aus Bonn. Die Nähe zu Berlin und das „historische Ambiente“ solle Spitzenverbände der Wirtschaft locken, sagte Gramlich 1995 in einem Interview.

Die Befürworter des Potsdam- Centers argumentierten zudem mit der Wiederherstellung der historischen Mitte der Stadt. Der Alte Markt, möglichst mit einem wiederaufgebauten Stadtschloß, könne nur dann realisiert werden, wenn ein Ausweichquartier für die notwendige Infrastruktur geschaffen werde. Bürgerinitiativen wie Argus befürchteten hingegen die Verödung der Innenstadt, wenn die Geschäfte abgezogen würden an den Stadtrand. Darüber hinaus zerstöre das Potsdam-Center die berühmten Lennéschen „Sichtachsen“, die einen uneingeschränkten Panoramablick auf die Seenlandschaft gewähren sollten. Die Gegner des Potsdam-Centers erhielten unverhofften Beistand. Die Unesco sah das Weltkulturerbe in Gefahr. 600 Hektar Kunstlandschaften, gestaltet von Bau- und Gartenkünstlern wie Knobelsdorff, Schinkel und Lenné, hatte sie auf gleichen Rang wie etwa das Tadsch Mahal in Indien oder die Chinesische Mauer gesetzt. Mit dem Bau des Potsdam-Centers, drohte die Unesco 1996, rutsche die Stadt auf die rote Liste „Welterbe in Gefahr“. Daraufhin schaltete sich das Bundeskanzleramt ein. Ergebnis: Das Potsdam-Center muß abgespeckt werden. Ein mit einem hohen Turm geplantes Hotel wird es nicht geben, die Geschoßfläche wird geringer.

Unbestimmt blieb jedoch die Größe der Ladenfläche, über die am Mittwoch die Stadtverordneten diskutieren wollen. 12.500 Quadratmeter sind für die Innenstadt nach Ansicht der Opposition gerade noch verträglich. Mit einer Einigung ist in der Sitzung nicht zu rechnen. Erst vor ein paar Tagen ließen die Einzelhändler der Innenstadt den eigens einberufenen Runden Tisch platzen, weil die Investoren auf einer Größe von 18.000 Quadratmetern bestanden hätten.

Inzwischen sind einige Vertreter der alten Baupolitik von der Bildfläche verschwunden. Baustadtrat Detlef Kaminski (SPD), der auch das Potsdam-Center zu verantworten hat, steht unter Betrugsverdacht und wurde von den Stadtverordneten Anfang 1998 abgewählt. Nur wenige Monate später folgte SPD-Oberbürgermeister Horst Gramlich. In einem Volksentscheid wählten die Potsdamer ihn ab – ein einmaliger Vorgang in einer deutschen Landeshauptstadt.

Bei den Kommunalwahlen am 27. September will die SPD die PDS in Potsdam überrunden. Als OB-Kandidaten schickt sie den Oderflut-Minister Matthias Platzeck vor. Der einstige Kritiker der Baupolitik muß dann sehen, wie er mit den Hinterlassenschaften seiner Partei umgeht. Erst vor ein paar Tagen drückte Platzeck seine Sorge aus „vor einer zerfledderten Mitte, die Potsdam großen Schaden zufügt“. Das Potsdam-Center wird aber auch er wohl nicht wegzaubern können.

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