piwik no script img

Sie trinkt und raucht etwas zuviel

■ Angepaßt nach Frauenart: „Sue – Eine Frau in New York“ zeigt, wie jemand nicht Amok läuft – obwohl Grund genug dazu da wäre

Mit der banalen Anmache „Was tut eine schöne junge Frau wie Sie allein an einem Sonntagmorgen?“ setzt sich der ältere schwarze Herr zu Sue (Anna Thomson) auf die Parkbank. Und dann fragt er, ob sie ihm ihre Brüste zeigen würde. Verblüffung bei Sue. Gegen zehn Dollar? Doch das kann sich der alte Willie nicht leisten. Sue aber könnte die zehn Dollar gebrauchen. Sie ist mit ihrer Miete im Rückstand, und sie sucht verzweifelt einen Job.

Es ist eine ganz alltägliche Ausgangssituation, mit der Amos Kollek seine Geschichte über „Sue – Eine Frau in New York“ beginnt. Und leider ist auch ihr Fortgang so alltäglich: Langsam, still und von ihrer Umgebung kaum bemerkt, geht seine Heldin vor die Hunde.

Warum gibt es keine Amokläuferinnen? Die Frage drängt sich auf, denn im Geiste ist Sue eine Schwester von Travis Bickle. Doch anders als Martin Scorseses „Taxi Driver“ richtet sie ihre Aggression nicht gegen die anderen und nicht gegen die Welt. „Sue“ ist eben ein Film der neunziger Jahre. Die Leute sind kleinlaut geworden. Der amerikanische Wirtschaftsaufschwung gibt ihnen wenig Grund, sich lauthals zu beklagen, wenn sie nicht mithalten können.

Nach Frauenart ist Sue nur allzu gut angepaßt. Okay, sie trinkt etwas zuviel, sie raucht etwas zuviel, sie telefoniert etwas zu routiniert auf Stellenangebote hin, sie hat etwas zu wahllos Sex mit zufälligen Männerbekanntschaften, und sie läßt die Prostituierte Lola (Tahnee Welch) etwas zu schnell bei sich wohnen. Mit ihrem distanzierten, doch hartnäckigen Charme geht sie auf die anderen zu. Aber sie hat in der Art der coolen Metropolenbewohner über lange Jahre gelernt, sich möglichst wenig aus den Leuten zu machen, die sie begehrt.

Ist es das, was Sue nicht mehr erkennen läßt, wann sie dranbleiben muß – und vor allem dranbleiben darf? Daß sie die Hilfe der Barfrau (Tracee Ellis Ross) annehmen und daß sie auf das Interesse, das ihr der Journalist Ben (Matthew Powers) entgegenbringt, eingehen kann? Noch immer bewegt sie sich mit Humor, Intelligenz und einer verletzlichen Grazie durch die Stadt mit ihren Menschen, die noch immer eine Chance für sie bedeuten könnten. Wo liegt der unheilbare Bruch in ihrer Persönlichkeit, was läßt sie so unvermeidlich abgleiten?

Amos Kollek hat dieses Thema seines Films nicht allein in den großen dramaturgischen Blöcken entwickelt – wie etwa der Sexszene im Kino, wo sich Sue von einem wildfremden Mann befriedigen läßt. Er hat dafür Mengen kleinster Subplots gefunden, die aus einer Bewegung heraus, einem Zögern, einem Blick oder durch das anders frisierte Haar andeuten, wie tief sich Sues Verzweiflung schon in ihre ganze Person eingegraben hat. Und Anna Thomson, die dieses Spiel hoffnungsloser Gesten so präzise wie zurückhaltend interpretiert, ist die absolut brillante Erzählerin des Niedergangs von Sue. Am Ende sitzt sie erneut auf der Parkbank, doch selbst Willie kommt nicht mehr. BW

„Sue – Eine Frau in New York“. Regie und Buch: Amos Kollek. Mit Anna Thomson, Matthew Powers, Tracee Ellis Ross, Tahnee Welch. USA 1997, 90 Minuten

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen