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Frauengeschichte I

Im Januar 1968 entsteht in Berlin am Rande der Studentenbewegung der Aktionsrat zur Befreiung der Frauen. Gegründet wird er von Frauen des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS). Die Mitglieder – vor allem Mütter – diskutieren über „Frauenbefreiung und Kinderfrage“. Ein paar Monate später gründen sie in Berlin die ersten Kinderläden.

13. September 1968. Beim Bundeskongreß des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes in Frankfurt hält die Filmemacherin Helke Sander vom Aktionsrat einen Vortrag zur Lage der Frau. Auf ihre Rede reagieren die Genossen mit Ignoranz. Über die Frauenfrage wollen sie nicht diskutieren. Empört über dieses Verhalten, setzt die Berlinerin Sigrid Rüger zum legendären Tomatenwurf an. Weiche, reife Tomaten – so die mündliche Überlieferung – klatschen den Genossen ins Gesicht. Dieser Tomatenwurf gilt fortan als Initialzündung für den Beginn einer neuen Frauenbewegung.

Im Wintersemester 1968/1969 gründet sich der Frankfurter Weiberrat, und die ersten Frauengruppen entstehen. Sie stellen die traditionelle Rolle der Frau als Mutter und Erzieherin in Frage. Eine antiautoritäre, feministische Stimmung entsteht im Dunstkreis des SDS und der APO. Eine feministische Theorie, auf die sich die Frauen stützen können, existiert nicht. Zwei Jahre hält die Euphorie an. Dann kommt es an ideologischen Fragen zum Bruch.

Die einen wollen die Geschichte der Frauenunterdrückung anhand der marxistischen Gesellschaftsanalyse untersuchen, um so neue Strategien für die Emanzipation zu entwickeln. Andere gehen von persönlichen Erfahrungen aus und versuchen diese in die politische Analyse mit einzubeziehen. Vor allem in den Universitätsstädten werden die Frauengruppen von linken Dogmatikerinnen beherrscht. Die Gruppen zerfallen, zersplittern. Nur wenige arbeiten außerhalb der Universitäten weiter.

1970. Ermüdet von den theoretischen Diskussionen, suchen die Frauen nach einem Lebens- und Praxisbezug. Fixpunkt der neuen, noch jungen Frauenbewegung wird die Debatte um den Abtreibungsparagraphen 218 und seine Abschaffung.

1971. Nach dem französischen Beispiel initiiert Alice Schwarzer mit Hilfe des noch bestehenden Frauennetzwerkes in der Illustrierten Stern eine Selbstbezichtigungskampagne, in der Hunderte von Frauen bekennen: „Ich habe abgetrieben.“ Im Juli überreichen Vertreterinnen der „Aktion §218“ dem damaligen Bundesjustizminister Gerhard Jahn 86.500 Solidaritätserklärungen zur Abschaffung des Paragraphen 218.

An dieser Kampagne beteiligen sich sowohl autonome Frauengruppen wie auch gewerkschaftlich und parteilich organisierte Frauen. Die Bewegung hat ein einigendes Thema gefunden. Die Aktionen gegen den Paragraphen 218 werden über viele Jahre hinweg fortgesetzt. Wenn sie auch nicht zu seiner Abschaffung geführt haben, so doch immerhin zu einer Liberalisierung des Abtreibungsrechts.

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