: Kösters Kindheitstraum
Wenn Ehemänner zu Baggerführern werden. Ein Wochenendseminar der Eifel-Touristik ■ Von Tomas Niederberghaus
Köster träumte immer das gleiche. In dem Traum sah er einen Müllwagen vor dem Haus seiner Eltern vorfahren. Zwei Männer in Latzhosen stellten die Blechtonnen an die Kippvorrichtung, während der Fahrer des Wagens den kleinen Köster aufforderte, in das Führerhaus einzusteigen. Der Müllwagen brummte durch die Straßen. Es regnete und die Wolken waren so schwarz und tiefhängend, als wolle es niemals mehr aufhören zu regnen. Irgendwann hielt der Wagen an einem Sandplatz, in dessen Mitte ein feuerroter Bagger stand. Köster sah den Bagger, sprang aus dem Müllwagen, rannte los. Er setzte die Schaufel des Baggers in Bewegung und baute damit eine riesige Burg. Plötzlich schien auch die Sonne.
Helmut Köster ist heute 37 Jahre alt und arbeitet als Starkstromelektroniker in einer hessischen Kleinstadt. Er sagt, daß ihn der Kindheitstraum vom Baggerfahren nie mehr losgelassen hat. „Ich hätte als Kind gerne einen Bagger gehabt“, betont er, „aber meine Mutter hat mir nie einen geschenkt.“ Noch heute überfalle ihn ein wohlbekanntes Gefühl, wenn er Buben mit einem Bagger im Sandkasten spielen sehe. Für den Sandkasten ist Köster nun zu alt. Aber seine Ehefrau Birgit nimmt seine Träume in die Hand.
Unlängst saß Birgit bei ihrem Hausarzt und blätterte in einem der herumliegenden bunten Blättchen. Zwischen Kosmetiktips und Entschlackungskuren las sie vom „Baggerseminar in der Eifel“. Der Helmut, sagt Birgit, habe „total glänzende Augen bekommen“, als sie ihm eines Abends vor dem Fernseher bei „Wetten daß?!“ die Buchung in die Hand drückte.
Die Eifel. Grüne Bergrücken, steil abfallende Talwände, zerklüftete Felsen und markante Hecken, die das Land gegen die Unbillen des rauhen Klimas schützen. Und irgendwo in diesem „rheinischen Sibirien“, wie der Volksmund die Gegend nennt, schlummert das kleine Vossenack mit seinen akkuraten Vorgärten und den scheinbar immer frisch gewienerten Wagen der Dorfbewohner. Das Hotel „Zum Alten Forsthaus“ liegt am Rande des Dorfes. Am Frühstückstisch sitzt Köster und kaut mittlerweile auf dem dritten Leberwurstbrötchen. Er trägt ein graues T-Shirt auf seiner keltisch- blassen Haut.
Köster wirkt angespannt, was wahrscheinlich daran liegt, daß in wenigen Stunden das Baggern beginnt und er als erster den Steuerknüppel in die Hand nehmen wird. Gestern abend nämlich haben die Seminarteilnehmer beim Kegelturnier beschlossen, daß der Gewinner die erste Baggerfahrt übernimmt. Köster hatte die Kugel ganz souverän auf die Bahn gerollt. Sie sollte ihm Glück bringen, sie brachte ihm den Sieg. Für einen kurzen Augenblick hob Köster die Faust, wie Boris Becker nach einem gewonnenen Punkt die Faust hebt, bis der Klaus leicht verächtlich in die Runde rief: „Du machst für uns morgen den Affen.“
Klaus ist Buchhalter im Hunsrück und mit seinem Freund, der ebenfalls Klaus heißt, zum Baggerwochenende angereist. Die beiden haben ihre Frauen zu Hause gelassen, um mal, wie sie sagen, „ein wenig anzubaggern“. Bei diesem Frühstück aber wird deutlich: Alle anderen der insgesamt 18 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind – mit der weiteren Ausnahme eines bayerischen Frührentners – als Paare hier, und in fast allen Fällen haben die Frauen ihren Männern dieses Wochenende geschenkt. Der Traum vom Bagger ist auch der Traum des kleinen Jungen, ein richtiger Mann zu werden – wie gut, daß die Eifel-Touristik für diesen verspäteten Initiationsritus ein touristisches Angebot parat hat. Leider herrscht statt Baggerdröhnen Totenstille, denn erst nachmittags soll es richtig losgehen.
Aber das ist nicht der einzige Grund für den schwelenden Mißmut in der Gruppe: Gestern fiel zunächst der im Programm versprochene „Willkommenstrunk“ aus, auch die „Mitternachtssuppe“ wurde nicht serviert. Und nun kündigt Hotelbesitzer Gübbels an, das Samstag-mittag-Grillen wegen schlechten Wetters ausfallen zu lassen, obwohl es draußen brüllend heiß ist. Birgit platzt der Kragen. „Wir haben dafür gezahlt“, sagt sie, „wir möchten grillen.“ Köster nickt.
Richtig reden kann bei diesem Grillmittag im Hotelgarten niemand. Zu sehr hängen die Bier- und Schnapsrunden des Kegelabends in den Knochen. Klaus und Klaus schauen mit dem glasigen Blick einer tiefgefrorenen Forelle in die Runde, Helga aus Lüdenscheid kommentiert die Koteletts, und Stefan und Sebastian nuscheln über Autos. In diesem Moment maximaler Besinnlichkeit donnert plötzlich ein Bagger um die Ecke. Die Männer grölen, die Frauen grinsen. Auf dem Hotelparkplatz läßt der Fahrer die Schaufel zu Boden sinken. Köster läuft los, alle anderen hinterher.
Der Baggerfahrer heißt Berthold und trägt olivgrüne Bundeswehrsachen. Er sagt, daß der Bagger direkt vom Einsatz komme und daß der Schweiß der Bauarbeiter vielleicht noch zu riechen sei. Zur Sicherheit sagt er das: „Wenn ihr baggert und es mal brenzlig wird, laßt einfach die Hebel los, schon steht der Bagger still.“ Birgit gibt nun nochmals zu bedenken, daß es ja „ein starkes Stück ist, daß wir auf einem Parkplatz statt in einer Kiesgrube baggern“.
Köster kann es nicht mehr abwarten, springt mit einem Satz auf das hohe Trittbrett und klettert ins Führerhaus. Als Berthold ihm noch ein paar Details erklärt, schießt Birgit vor die Schaufel, drückt auf den Auslöser der Pocketkamera und nickt Köster mütterlich zu. Klaus zündet sich eine Zigarre an und ruft: „Nun zeig mal, was du kannst.“
Wie die Tentakel einer Riesenkrake fährt der Baggerarm nach vorn, senkt sich zu Boden, und die Eisenzacken der Schaufel fressen sich langsam ins Erdreich. Kösters schüchterner Blick weicht einem kindlich-saturierten Lachen. Birgit sagt, daß Köster auf der tonnenschweren Motorenmacht ein gutes Bild abgebe, und knipst diesmal im Hochformat. Nur ist die Schaufel fast leer. Für die wenigen Erdklumpen hätte auch ein Spaten gereicht.
Klaus lacht sich halb kaputt. Nach fünfzehn Minuten konzentrierter Baggerarbeit ist Kösters Zeit abgelaufen. Er hat es doch noch zu einer kleinen Burg gebracht. Köster sagt: „Einfach super!“ Birgit drückt ihm zur Belohnung einen Kuß auf die Wange. Und dann ist sie dran. Zunächst aber gibt's Apfelkorn!
Auf dem Nachbargrundstück herrscht inzwischen Krisenstimmung. Drei Generationen sitzen im Garten in Reih und Glied auf weißen Plastikstühlen und schmollen ziemlich sauer rüber. Plötzlich hechtet der Alte zum Zaun. Nicht nur der Lärm stört. „Wir wollen nicht in die Luft gehen“, schreit er, „dort, wo Sie baggern, stand im Krieg ein Munitionslager“ – was so abwegig nicht ist, denn bis Februar 1945 kamen um Vossenack mehr als fünfzigtausend Menschen ums Leben, das Drama wurde als „Schlacht um den Hürtgenwald“ bezeichnet.
Aber die Baggermenschen lassen sich ihre Kaffeefahrtidylle nicht nehmen. Die Aufmerksamkeit gilt Birgit. Mit der Akribie einer Spitzenklöpplerin bedient sie die Steuerknüppel, prallvolle Schaufeln hebt sie aus der Erde, fix ist ein stattlicher Hügel aufgeschüttet. „Tja Helmut“, sagt Klaus, „von deiner Frau kannst du dir noch eine Scheibe abschneiden.“ Köster kann das gar nicht gut haben. Schweigend wendet er sich ab.
Abends sind alle Animositäten ebenso vergessen wie die Enttäuschungen. An der Hubertusbar wird hochgehalten, was der Prospekt versprochen hat: „Gesellige Runden, beste Laune und unbeschwerte Stunden.“ Es gibt Frischgezapftes und Schunkelmusik. Und niemand mosert mehr über die teure Apfelsaftschorle oder die vermeintlich frischen Pilze, die als Dosenchampignons kalt den Salat und heiß das Schnitzel garnierten. Auch das kurze Baggerdebüt reicht für eine Auszeichnung. „Herr Köster“, sagt Hotelbesitzer Gübbels und liest von der Urkunde ab, „Sie haben in feinfühliger Weise die Schaufel bewegt, den Steuerknüppel beherrscht und damit saubere Baggerarbeit geleistet. Für Ihre vorbildliche Leistung möchte ich Ihnen hiermit das Eifeler Bagger-Diplom überreichen.“ Die Baggergesellschaft applaudiert.
Kösters Traum ist erfüllt. Köster ist nun ein richtiger Mann.
Anmeldung bei: Zum alten Forsthaus, Germeter 49, 52393 Hürtgenwald-Vossenack, Telefon: (02429) 78 22 23
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen