Sozialist in Algerien entführt

■ Seit Anfang September ist ein Sozialistenchef aus der Kabylei verschwunden. Er hatte stets für nationale Aussöhnung gekämpft

Madrid (taz) – „Nur die Herstellung eine breiten Öffentlichkeit kann das Leben von Mahieddine Kessouar retten“, heißt es in einem am Donnerstag in Genf veröffentlichten Appell der Front der Sozialistischen Kräfte. Die größte nichtreligiöse algerische Oppositionspartei klagt darin die Entführung von Kessouar, dem Parteivorsitzenden in Idjer, einem Dorf in der Berberregion Kabylei, an. Der 52jährige Sozialist wurde am 1.September zum letzten Mal gesehen. „Wir haben keine Erkenntnisse darüber, wer Kessouar entführt haben könnte“, sagt der FFS- Sprecher in der regionalen Parteizentrale in Tizi Ouzou, Ait Ahmed Ahmed. Doch Spekulationen, wonach Kessouar nicht den Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA) zum Opfer gefallen sein könnte, sondern deren Gegnern, den Selbstverteidigungsgruppen – den sogenannten Patrioten –, will Ait Ahmed Ahmed weder bestätigen noch dementieren.

Es gibt genug Gründe, die für diese Vermutung sprechen. Kessouar war ein entschiedener Gegner der Militarisierung der Zivilgesellschaft, wie sie die andere große Partei der Kabylei, die Versammlung für Kultur und Demokratie (RCD), auch im Ort Idjer vorantreibt. Statt der von RCD und Patrioten propagierten „Ausmerzung der Islamisten“ setzte sich Kessouar für eine nationale Aussöhnung ein.

Nach dem die GIA im Juni den Berbersänger und RCD-Sympathisanten Lounes Matoub erschossen, spitzte sich der Konflikt zwischen den beiden Parteien in der Kabylei zu. Während die von der RCD organisierten Patrioten immer mehr Druck auf die örtlichen Sozialisten ausübten, meldete sich eine bis dahin unbekannte bewaffnete Berberbewegung (MAB) zu Wort und kündigte an, alle zu bekämpfen, die „direkt oder indirekt“ die Schuld am Tod von Matoub Lounes haben. Viele Sozialisten begriffen dies als direkte Drohung, hinter der Teile der Patrioten stecken. Es wunderte daher auch keinen bei der FFS, daß auf der Kundgebung, bei der am Mittwoch in Idjer 5.000 Menschen ihre Sorge um Kessouar zum Ausdruck brachten, die RCD und Patrioten durch Abwesenheit glänzten. Reiner Wandler