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Ein Mann schneller Entschlüsse

Helmut Holter, PDS-Landeschef in Mecklenburg-Vorpommern, bereitet seine Partei für die Zeit nach der Landtagswahl am 27. September aufs Mitregieren vor  ■ Aus Schwerin Heike Haarhoff

„Ist hier irgend jemand, der in letzter Zeit Arbeit gefunden hat?“ Die Sprecherin des örtlichen Arbeitslosenverbands (ALV) klingt provokant, so als bitte sie, daß jetzt mal alle vortreten, die 200 Kilo auf die Waage bringen und Pickel haben. Ein Mann meldet sich zaghaft. 50 arbeitslose Augenpaare, die sich zur monatlichen Demonstration vor dem Arbeitsamt in Waren im Müritz-Kreis versammelt haben, starren ihn an. „Ha! Einer! Richtig feste Arbeit, keine ABM?“ Die Sprecherin erntet ein stummes Nicken. „Na, herzlichen Glückwunsch! Aber das ist kein Grund, aus Dankbarkeit den Kohl zu wählen. Oder, Helmut Holter?“

In zwei Wochen sind Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern. Holter ist PDS-Landeschef und Direktkandidat im touristisch attraktiven, aber strukturschwachen Müritz-Kreis. Also rückt er sich die wenig kleidsame Schirmmütze des Arbeitslosenverbandes zurecht und fordert: Daß es dauerhafte Jobs geben muß. Daß seine Partei deswegen einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor will. Und daß sie dazu „die richtigen Stimmen“ braucht.

Höchstens zweieinhalb Minuten dauert seine Ansprache. Applaus. Holter ist weder ein Mann der großen Worte noch der theatralischen Gesten. „Die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern reden nicht viel“, weiß der schlanke Riese, der hier vor 45 Jahren, oder, um es mit seinen Worten auszudrükken, „zwei Monate nach dem Tod von Stalin“, geboren wurde. „Den Leuten geht es um die Arbeitsplätze, um die Bodenreform.“ Da sucht Holter lieber das Gespräch vor Ort. 7.000 Kilometer schon hat er allein in diesem Wahlkampf zurückgelegt. Nicht im schicken Bus wie CDU-Landesvater Berndt Seite, der mit Holter um das Müritz-Kreis-Direktmandat konkurriert, sondern meistens am Steuer des parteieigenen Autos: Es ist einfacher, zunächst unerkannt mit den Menschen im Land ins Gespräch zu kommen.

Zwischen zwei Wahlkampfterminen bekommt der Mann in Jeans und Sandalen plötzlich Durst. Am Ausgang des örtlichen Supermarkts versucht ihm der ADAC eine Mitgliedschaft aufzuschwatzen. Holter ist nicht abgeneigt, „aber heute leider etwas unter Zeitdruck“. Er bekomme sogar einen ADAC-Atlas geschenkt, ruft der Kundendienstler ihm hinterher. Das zieht. Der PDS-Landeschef kehrt um: „Ich bin ein Mann der schnellen Entschlüsse.“

Im Schweriner Landtag gilt er, der mit seinem Hang zum Pragmatismus PDS-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch politisch nahesteht, neben Fraktionschefin Caterina Muth als einer der führenden Köpfe. Er überlegt sich gut, was er wie preisgibt. Holter ist Politprofi: Seit 1994 ist er wirtschaftspolitischer Sprecher der PDS- Fraktion, die mit 22,7 Prozent der Wählerstimmen die einzige parlamentarische Opposition zur Großen Koalition darstellt. Das könnte sich ändern. Denn der Mann verfolgt ein klares Ziel: mitregieren. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Neben überzeugten Sozialisten und Wählern, die durch die PDS die Interessen der Menschen in Ostdeutschland am besten vertreten sehen, dürfte die PDS diesmal auch viele Stimmen derjenigen ergattern, die angesichts der eigenen Perspektivlosigkeit keinen politischen Unterschied mehr machen: „Der PDS gebe ich die Erststimme, weil die für Arbeit sind. Und der DVU die Zweitstimme, weil die für Arbeit für Deutsche sind“, berichtet der 29jährige Kranführer Jens, Zuschauer einer PDS-Wahlkampfveranstaltung in Schwerin. Unbeeindruckt davon, daß vorn am Mikro Kandidat Holter gerade eindringlich davor warnt, „dem Populismus von rechts“ aufzusitzen.

„Der Wille zur Koalition mit der SPD ist unstrittig“, gibt Holter später unverblümt zu. Eine SPD- PDS-Regierung in Schwerin? Die umstrittene Konstellation wäre ein bundesweites Novum, macht Holter aber überhaupt keine Angst. „Natürlich gibt es auch bei der PDS Bedenkenträger und Gegner“, weiß er. Solche, die fürchten, die Partei werde ihr politisches Profil verlieren, sollte sie als Regierungspartnerin Kompromisse eingehen müssen. Die deswegen dieser Tage vorab intern „Entwurfspapiere“ mit herben Bedingungen für eine Koalition mit der SPD formulierten. „Das sind Einzelmeinungen“, beschwichtigte Holter umgehend, nachdem der Forderungenkatalog öffentlich gemacht worden war. Aber weil der Landeschef nach eigenen Angaben „Dogmatiker haßt“, hält er innerparteiliche Konflikte aus. Bis zu einem gewissen Grad: Fraktion und Vorstand, stellt Holter die wahren Machtverhältnisse klar, „haben darüber noch nicht beraten“.

Holter ist kein Zauderer und schon gar kein Bedenkenträger. Er, der Anfang der 70er Jahre sein Ingenieursstudium in Moskau absolvierte und danach Karriere in der SED machte, ist Parteihierarchien und den Umgang mit Macht gewohnt. „Wer so lange im Ausland war wie ich, gewinnt einen anderen Blick auf das eigene Land.“ Einen kritischeren? „Was nach der Wende nicht gelungen ist, war, die wirklich guten Seiten der DDR mit den guten der Bundesrepublik zu vereinen“, resümiert Holter. Die Überzeugung, daß dieses Ziel dennoch erreichbar sei, hat ihn nie verlassen. Dabei ist er wahrlich kein Nostalgiker. „Die alten Kittelschürzen von den Frauen hier“, stellt er bei seiner Tour durch die kleinen Dörfer amüsiert fest, „mochte ich noch nie.“

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