: Bummelstreik in Bremer Sozialämtern
■ Hemelinger Sozialamt schloß für einen Tag: „Wir sind nervlich am Ende“, sagt die Personalvertreterin / Bremer Inis berichten bremenweit über katastrophale Zustände
Die MitarbeiterInnen im Hemelinger Sozialamt proben in diesen Tagen den Aufstand: „Reihenweise“ brachen am vergangenen Donnerstag „Kollegen zusammen“, berichtet Personalvertreterin Elke-Marie Schütze. Die Folge: Sieben Krankmeldungen an einem Tag – das Amt mußte dichtmachen. „Wir sind nervlich und körperlich am Ende“, erklärt die Personalvertreterin den intern als „Bummelstreik“ deklarierten Ausstand. Heute kommt das Personal zu einer Krisensitzung zusammen, um weitere Aktionen zu beraten: „Wir wollen uns das nicht mehr gefallen lassen.“
Die SachbearbeiterInnen haben die Nase voll von den „unhaltbaren Zuständen“ im Amt: Mit viel zu wenig Personal müßten sie immer mehr SozialhilfeempfängerInnen beraten. Das bekommen die Betroffenen derzeit kräftig zu spüren: Das Amt hätte schon mehrmals einfach so dichtgemacht, berichtet ein Sozialhilfeempfänger. Wer dringend Geld braucht, stehe dann ratlos da. Wartezeiten von bis zu vier Stunden seien zudem die Regel – „und wenn Du dran bist, behandeln sie Dich wie den letzten Dreck. Und wollen Dich so schnell wie möglich wieder draußen haben.“
Mißstände, die bei der Solidarischen Hilfe und der Arbeitsgemeinschaft arbeitsloser BürgerInnen „AGAB“ aus Walle schon länger bekannt sind – nicht nur in Hemelingen. „Die Zustände sind bremenweit unhaltbar. Gut, daß sich die MitarbeiterInnen endlich wehren“, sagt Thomas Beninde von der AGAB. Denn seit zwei Jahren müssen die Ämter deutlich mehr Fälle bewältigen: Der Senat beschloß 1996, daß jeder Sachbearbeiter künftig 127 statt bislang 98 Fälle zu bearbeiten habe – weil die Anzahl der SozialhilfeempfängerInnen beständig steigt. „In der Praxis sind das aber zwischen 140 und 160 Fälle“, beschreibt die Hemelinger Personalvertreterin Schütze. Denn wenn KollegInnen krank werden oder Urlaub machen, müssen die anderen die Arbeit unter sich aufteilen.
So müssen in Hemelingen laut Schütze 18 statt 23 Leute die Arbeit bewältigen – weil zwei Kolleginnen dauerkrank sind und eine Stelle wegen arbeitsrechtlicher Streitigkeiten im Grunde unbesetzt sei. Zwei weitere Kolleginnen seien zudem nicht richtig eingearbeitet – weil sie als Springer aus anderen Behörden ins Amt kamen.
Der Einsatz von Springern ist es nämlich, der die Fallzahl von 127 in Zeiten von Stellenstop und personellen Einsparquoten überhaupt bewältigbar machen soll: So sind allein 50 der rund 330 SachbearbeiterInnen in den Bremer Sozialämtern Springer. Diese müßten in feste Planstellen überführt werden, damit die Springer länger bleiben, fordern deshalb die Personalvertreter, die jüngst bremenweit zu einer Krisensitzung zusammenkamen. Bislang hat Sozialsenatorin Tine Wischer (SPD) 15 solcher Planstellen zugesagt. Über mehr werde verhandelt, bestätigt Behördensprecher Holger Bruns. Doch das ist für die Personalvertreter nur „ein Tropfen auf den heißen Stein“. Sie wollen, daß künftig freiwerdende Stellen wieder neu besetzt werden dürfen.
Aber diese Forderungen gehen den Bremer Vereinen und Initiativen nicht weit genug: „Die Ämter sind völlig überlastet. Es müssen dringend mehr Stellen her“, sagt Helen Königs von der Solidarischen Hilfe. Die Ämter nähmen doch schon jetzt ihre gesetzliche Beratungspflicht nicht mehr wahr. Die jetzige Situation „ist ein Af-front für alle, die in Not sind.“
Katja Ubben
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