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Polizei soll Vertrauen demonstrieren

■ Alle Parteien stimmten gestern im Innenausschuß für vertrauensbildende Schritte von Innensenator und Polizei bei Demonstrationen. Das Wort "Deeskalation" wurde gestrichen. Grüne drängen auf Runden Tisc

Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Mit großer Mehrheit haben sämtliche im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien Senat und Polizei aufgefordert, zu deeskalierenden Polizeikonzepten zurückzukehren. Der von den Grünen vorgelegte Antrag wurde gestern vom parlamentarischen Innenausschuß verabschiedet. Senat und Polizei wurden beauftragt, bei künftigen Einsätzen anläßlich von Großdemonstrationen für eine deutliche Konfliktvermeidungsstrategie Sorge zu tragen.

Die ursprüngliche Fassung des Antrags vom 7. Mai 1998 war mehrfach verändert worden, bevor die Abgeordneten sämtlicher Fraktionen gestern dazu ihren Segen gaben. „Einzig erfolgversprechend ist eine bewußte Änderung des politischen Klimas, sind vertrauensbildende Schritte von seiten des Innensenators und der Polizei“, hieß es zunächst in dem Antrag „über die Rückkehr zu deeskalierenden Polizeikonzepten“.

Doch der Begriff „Deeskalation“ wurde durch Umschreibungen wie „vertrauensbildende Maßnahmen“ ersetzt, weil SPD und Gewerkschaft der Polizei (GdP) sonst nicht mitgezogen hätten. „Für die GdP ist Deeskalation ein Schreckgespenst, das bedeutet: Wir werden verprügelt“, bekam Wolfgang Wieland, innenpolitischer Sprecher der Grünen, als Begründung zu hören. Die CDU hatte nach mehrwöchiger Bedenkzeit auf eine neue Überschrift bestanden. Statt „Rückkehr zu deeskalierenden Polizeikonzepten“ lautet der Beschluß nun: „Gewalt verhindern, Kooperation stärken“.

So soll die Polizei zum Beispiel „Versammlungsfreudigkeit“ gegenüber den Veranstaltern und Teilnehmern demonstrieren und zum „Dialog“ bereit sein. Bei der „Isolierung“ von Gewalttätern und Festnahmen von Straftätern sollen die Beamten „differenziert“ und „situationsangemessen“ vorgehen. Konkret: Die Polizei soll sich gut überlegen, ob sie einen vermummten Demonstranten oder den Träger einer verbotenen TKP-ML-Fahne aus einem friedlichen Block herausholt und damit eine Eskalation riskiert.

Wieland gab den PDS-Abgeordneten gestern in der Kritik recht, daß in dem Antrag der Grünen „nichts Neues“ stehe. Er verteidigte den Vorstoß aber damit, der „Teufelskreis“ der seit nunmehr elf Jahren zelebrierten Randale am 1. Mai müsse endlich durchbrochen werden. Es sei „wichtig, die Basis für einen Neuanfang zu schaffen“. Das Papier sei eine wesentliche Grundlage dafür, daß Demonstrationen anders ablaufen können. Voraussetzung sei, daß die Polizeiführung die in dem Papier skizzierten Maßnahmen in der Praxis beherzige. „Wir werden vor dem nächsten 1. Mai auf einen Runden Tisch aller Beteiligten drängen“, sagte Wolfgang Wieland.

Der gestrigen Abstimmung waren wochenlange Diskussionen im Innenausschuß vorausgegangen. Nach dem 1. Mai hatten sich die Gemüter an der Frage erhitzt, wer die Schuld an dem diesjährigen Desaster in Prenzlauer Berg hat. Nach übereinstimmender Einschätzung handelte es sich bei der Straßenschlacht um die „schlimmsten Auseinandersetzungen“ seit 1989. 144 angeblich zum Teil schwer verletzte Polizisten ließen die aufgebrachte Gewerkschaft der Polizei (GdP) von „chaotischen Zuständen“ in der Polizeiführung sprechen. Ihrer Forderung, den Einsatz „vernünftig“ nachzubereiten, ist die Führung bis heute nicht nachgekommen. Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) hat wie berichtet von den schweren einsatztaktischen Fehlern abzulenken versucht, indem er eine generelle Einschränkung des Demonstrationsrechtes vorschlug.

Abgesehen von seinen rechtlichen Bedenken gegen Schönbohms Vorschlag ist Wieland davon überzeugt, daß ein Demonstrationsverbot nicht das Entstehen von Krawallen verhindern würde. Er verwies darauf, daß Teile der Polizei, die sich bei Einsätzen bei den Castor-Transporten im Wendland und in Ahaus den Ruf einer „Knüppelgarde“ erworben hätten, auch „nach dem fachlichen Urteil ihrer Kollegen nicht für deeskalierende Einsätze zu gebrauchen“ seien. Plutonia Plarre

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