Schüsse auf den Trauerzug

■ In Albaniens Hauptstadt Tirana liefern sich Anhänger von Ex-Präsident Berisha mit der Polizei schwere Gefechte. Ministerpräsident Nano lehnt Rücktritt ab. Nato appelliert an Konfliktparteien

Tirana (rtr/AP/AFP) – Wegen des Mordes an dem prominenten Oppositionspolitiker Azem Hajdari ist die albanische Hauptstadt Tirana gestern erneut von schweren Unruhen erschüttert worden. Als eine trauernde Menschenmenge den Sarg mit dem Leichnam Hajdaris in den Amtssitz des sozialistischen Ministerpräsidenten Fatos Nano tragen wollte, wurde sie aus dem Gebäude heraus beschossen. Demonstranten der Demokratischen Partei Hajdaris brachten mehrere Panzer in ihre Gewalt, die zum Schutz Nanos aufgefahren waren.

Die Schüsse aus dem Amtssitz Nanos wurden aus der Menge erwidert. Zwei blutüberströmte Demonstranten wurden fortgetragen. Bei der intensiven Schießerei wurden offenbar auch Handgranaten verwendet. Nach den blutigen Auseinandersetzungen zog die Menge zur nahe gelegenen Residenz Nanos.

Der Chef der Demokratischen Partei, der frühere Präsident Sali Berisha, rief die Bevölkerung im Fernsehen auf, Ruhe zu bewahren und auf eine politische Lösung der Krise zu vertrauen. Er erneuerte seinen Vorwurf, Nano sei für den Anschlag verantwortlich, bei dem Hajdari am Samstag abend starb. Nano müsse zurücktreten, um einer Übergangsregierung Platz zu machen.

In der Innenstadt Tiranas waren nach den Unruhen schwerbewaffnete Zivilisten mit Autos unterwegs. Hinzu kamen einige Panzer, die die Demonstranten den Soldaten abgenommen hatten. Nach Gerüchten, Nano sei zurückgetreten, feuerten Anhänger der Opposition aus Freude Schüsse in die Luft ab. Aus Regierungskreisen verlautete jedoch, der Ministerpräsident werde im Amt bleiben und sich keinem Staatsstreich der Demokraten beugen.

Stunden vor den neuen Unruhen hatte Nano die Bevölkerung im Fernsehen aufgerufen, es nicht zuzulassen, daß die Opposition mit Gewalt die Macht ergreife. Das Chaos des vergangenen Jahres dürfe sich nicht wiederholen. Er erinnerte damit daran, daß der Balkanstaat 1997 in Anarchie versunken war, nachdem große Teile der Bevölkerung bei Spekulationsgeschäften fast die gesamte Habe verloren hatten.

Bereits am Sonntag hatte eine aufgebrachte Menge Nanos Amtssitz gestürmt und in Brand zu stecken versucht. Nano und seine Mitarbeiter entkamen über einen Nebenausgang, bei Gefechten mit Demonstranten wurde ein Wachmann getötet, vier weitere wurden verletzt, teilte die Polizei mit. Bei dem Angriff auf den Amtssitz riefen Anhänger von Berisha: „Tötet, tötet, tötet Fatos Nano!“ Das Erdgeschoß des Gebäudes wurde in Brand gesetzt.

Nato-Generalsekretär Javier Solana hat die verfeindeten Parteien in Albanien zu „äußerster Zurückhaltung“ und zur friedlichen Regelung ihrer Konflikte aufgerufen. In einer gestern in Brüssel veröffentlichten Erklärung verlangte Solana, die politischen Führer des Landes sollten zusammenarbeiten, um die demokratischen Institutionen des Landes aufrechtzuerhalten und um Frieden und Stabilität wiederherzustellen.

Solana verwies überdies darauf, daß die Nato und Albanien im Programm der „Partnerschaft für den Frieden“ (PfP) kooperierten und die Allianz einer Fortsetzung der Zusammenarbeit größte Bedeutung zumesse.