: Nie mehr „Beduinendörfer“
■ Bremerhaven hat seine Einkaufsmeile an den Einzelhandels- verband verpachtet / Das Modell interessiert auch in Bremen
In Bremerhavens Füßgängerzone hat die Stadt nicht mehr viel zu sagen. Wer auf der „Bürger“ Polit-Stände aufstellen, Feste feiern oder Trödel verkaufen will, verhandelt nicht mehr mit der öffentlichen Verwaltung, sondern mit einer Tochterfirma des örtlichen Einzelhandelsverbandes. Denn die Stadt hat seit 1996 zwei Drittel der Bürgermeister-Smidt-Straße, rund 8.600 Hektar, für 13.000 Mark pro Jahr an den Verband verpachtet.
Seither wollen Stadtverwaltungen und Einzelhandelsvertreter von nah und fern wissen, wie das „Bremerhavener Modell“ einer privatisierten Fußgängerzone funktioniert. Und auch in Bremen könnte sich Wolfgang Brakhane, Geschäftsführer des Einzelhandelsverbandes Nordsee, vorstellen, den Marktplatz und die großen Einkaufsmeilen in eigener Regie zu nehmen.
Denn in Bremerhaven melden die Beteiligten nur Positives. Die Stadtverwaltung muß sich nicht mehr mit Sondernutzungsgenehmigungen für jeden einzelnen fliegenden Händler befassen, spart also Geld und Personal. Dennoch bekommt sie vom Pächter dieselben Gebühren, die vor der Verpachtung für Sondernutzungen in die Stadtkasse flossen.
Der Einzelhandelsverband hat es nun in der Hand, für ein attraktives Bild der „Bürger“ zu sorgen. So müssen Cafés ihre Terrassen weiß möblieren und mit Blumen dekorieren. Obendrein sanken die Nutzungsgebühren pro Quadratmeter zum Beispiel für Gastronomen von früher 20 auf jetzt 10 Mark pro Monat und für Einzelhändler von acht auf fünf Mark. „Wir haben aber keine Polizeigewalt“, sagt Bremerhavens Verbandsgeschäftsführer Tasso Weber.
In zwei Jahren hat der Pächter trotz der reduzierten Preise 80.000 Mark Überschuß erzielt. Dafür habe man eine eigene Reinigungskraft angeheuert, eine Werbekampagne finanziert, neues Grün gepflanzt, Bänke aufgebaut und an Samstagen Musikgruppen in die Fußgängerzone geschickt. Und auch größere Veranstaltungen wie den Weihnachtsmarkt und den Bauernmarkt hat der Verband als Vermieter des Grundes mit organisiert.
Auch der Bremer Einzelhandelsverbands-Chef Brakhane würde gerne dem Bremerhavener Vorbild nacheifern. Er ärgert sich nämlich jedesmal, wenn er die Stände direkt neben dem Rathaus sieht, wo fliegende Händler ihre Socken und Kugelschreiber feilbieten. „So ein Beduinendorf kommt nicht gut an bei Bremern und Tagestouristen“, glaubt Brakhane. Und weil das Stadtamt kein Interesse an einer attraktiven Gestaltung der Stände habe, sollten die Lizenzen „an Profis“ vergeben werden.
Stadtamtsleiter Hans-Jörg Wilkens hält die Idee für „diskussionswürdig“. Im Stadtamt sind drei Mitarbeiter für Sondernutzungserlaubnisse öffentlichen Grundes zuständig. Sie kassieren etwa von normalen Verkaufsständen in Spitzenlage eine Gebühr von 180 Mark pro Woche. Einen Haken sieht Wilkens jedoch: Es müsse geklärt sein, daß auch Interessenten, die nicht dem Einzelhandel nahestehen, auch den begehrten Marktplatz nutzen dürfen. Joachim Fahrun.
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