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„Sie denken und gehen anders“

Wie der toskanische Trainer Renzo Ulivieri in einer fremden Welt mit den hohen Ansprüchen des aus der Serie A abgestiegenen Traditionsklubs SSC Neapel zurechtkommt  ■ Von Frank Helbert

Neapel (taz) – Monatelang hatte der SSC Neapel kein Spiel mehr gewonnen, war aus Italiens Serie A abgestiegen, aus dem Pokal geflogen und hatte das Premierenspiel in der Serie B auch noch verloren. Seit dem Wochenende ist man aber wieder optimistisch: Das 1:0 in Pescara war der erste Sieg mit dem neuen Hoffnungstrainer Renzo Ulivieri.

13 neue und junge Fußballprofis sind gekommen, Hoffnung aber macht vor allem Ulivieri, der Mann mit dem Erfolgsprofil des Aufstiegsspezialisten: Sampdoria Genua brachte er in die Serie A und bereitete die Mannschaft dort für weitere Erfolge vor. Bologna konnte mit ihm das Abenteuer genießen, zweimal hintereinander aufzusteigen und schließlich im Uefa-Cup zu landen.

Ulivieri reizt es, charakterprägend beim Neuaufbau der jungen Mannschaft mitzuwirken. Einen Libero wird es zunächst nicht geben und verschiedene andere Freiheiten auch nicht. Der Trainer betont zwar, daß nur die Zweitligameisterschaft sein Ziel sei, als sich aber die Spieler neulich nach dem Pokal-K.o. gegen das kürzlich noch drittklassige Lucchese heimlich verdrücken wollten, gab's eine Psycholektion von Ulivieri. Zusammen mit den Spielern begab er sich in den Anstoßkreis, um sich der Schmach und dem pfeifenden Publikum zu stellen.

Der Grund: „Es ist nicht richtig, nur nach einem Sieg dorthin zu gehen. Entweder man nimmt nach einer Niederlage auch die Pfiffe entgegen, oder man läßt beides. Eine starke Mannschaft, das meine ich moralisch, muß sich auch die Niederlagen erarbeiten.“

Ulivieri ist ein Toskaner in Neapel. Sicherlich ist das freiere Denken in Bologna eine gute Vorbereitung für Neapel gewesen, ein bißchen aber muß er sich an diese Stadt und ihre Menschen noch gewöhnen. „Sie denken anders, sprechen anders, gehen anders, haben eine andere Phantasie, aber das macht mir jetzt schon Spaß.“ Vielleicht, sagt er, gefalle ihm „diese Welt sogar mehr als den Neapolitanern selbst“.

Manchen Neapolitanern gefällt die Vergangenheit jedenfalls besser als die Gegenwart. Maradona! Wenn es den doch nur noch gäbe. Ulivieri hat damit kein Problem. Dieser Mythos, sagt er, gehöre einfach zur Kultur der Stadt, und überhaupt könnte er eher einen Franz B. brauchen.

Der realistische Blick gehört zum neuen Konzept des Vereins. Die Anfangsprobleme mag man im Moment nicht dramatisieren. „Vielleicht“, so meint der Technische Direktor, Antonio Juliano, „vielleicht wissen einige noch nicht, was es heißt, hier zu spielen. Jeder wird sich gegen uns besonders anstrengen.“ Ulivieri hat um Geduld gebeten und vorausgesagt, daß „wir sicherlich anfangs nicht sonderlich brillant spielen werden“. Nervosität und Konzentration bestimmen die Atmosphäre im Vereinsheim des SSC Neapel im Vorstadtviertel von Soccavo. Und Druck liegt auf den Spielern, die wenig mehr zu sagen haben als abgezirkelte Mediensätze.

Es ist ein Druck, den der Trainer zu relativieren versucht, indem er sagt: Es gibt noch eine andere Welt neben dem Fußball. So organisierte der Verein zusammen mit Inter Mailand und einem Sponsor ein Wohltätigkeitsspiel für die Opfer der Schlammlawine, die vor vier Monaten 137 Menschen das Leben kostete und auch einen Teil der Stadt Sarno unter sich begrub.

Der Erlös des Spiels brachte fast eine halbe Million Mark ein und gab den letzten Anstoß, daß in Neapel einstimmig positiv über Fußball und Geld gesprochen wurde. Auf den Straßen wird zwar schon lange kritisiert, daß die Spieler zuviel Geld verdienen, aber der Unmut über Corrado Ferlaino, Vereinsinhaber und Bauunternehmer, ist noch größer.

Ferlaino habe überhaupt nur Geld im Kopf und denke gar nicht mehr an Fußball oder Spieler, sondern nur an seine neuesten Projekte in Libyen, und wenn eine Niederlage Geld brächte, sagt man, würde er die Mannschaft auch verlieren lassen. Mehrere Siege in Folge würden dem SSC Napoli aber mehr Geld bringen, neuerdings sogar sehr viel davon. Sollte der Wiederaufstieg wirklich gelingen, will der Privatsender Telepiù, an dem Berlusconi als einziger Italiener beteiligt ist, bis 2005 jährlich 20 Millionen Mark für die Übertragung der Heimspiele auf das Vereinskonto überweisen.

Das ist eine Aussicht, die motivieren kann. Ulivieri warnt aber vor allzusehr klingelnder Zukunftsphantasie. „Es wäre das Ende des Fußballs, wenn man analog zum amerikanischen Basketball den Abstieg abschaffen und die Liga nur noch auf Basis des Geldes laufen lassen würde. Noch können reiche Vereine absteigen und kleine Städte in die ersten Ligen kommen“, sagt er.

Ulivieri hat den bequemen Posten in Bologna gerne verlassen. Die Herausforderung beim SSC Napoli sieht er kompromißlos: Nur wenn der Aufstieg gelingt, sagt er, wolle er hier länger arbeiten. Wahrscheinlich läßt man ihn auch nur dann.

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