: Gorleben Nordost reicht
■ Antrag zurückgezogen: Salzstockbesitzer sollen nicht für das geplante Atommüllendlager enteignet werden. Anwalt: Irreführende Diskussion
Hannover (taz) – Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) hat die Enteignungsanträge gegen den Gorleber Salzstockbesitzer Andreas Graf Bernstorff und zwei Kirchengemeinden, denen gemeinsam große Teile der südwestlichen Hälfte des Gorlebener Salzstockes gehören, zurückgezogen. Der gesamte bundesdeutsche Atommüll könne allein im nordöstlichen Teil des Salzstocks endgelagert werden, lautet die offizielle Begründung für die Rücknahme der Enteignungsanträge.
Der Berliner Rechtsanwalt Reiner Geulen, der Bernstorff in dem Enteignungsverfahren vertreten hat, sprach gestern allerdings von einer „durchsichtigen Strategie des Bundesamtes für Strahlenschutz“. Diese sei darauf angelegt, die Öffentlichkeit in die Irre zu führen. Einen weiteren Antrag auf „Aufsuchung“ des Bernstorffschen Salzes „zu wissenschaftlichen Zwecken“ hält das BfS nämlich nach Angaben von Geulen weiter aufrecht. Es hat sogar Klage vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg erhoben, nachdem die niedersächsischen Bergbehörden einen ersten Aufsuchungsantrag abgelehnt hatten. Wie Geulen sagte, macht eine Genehmigung des Antrags auf Aufsuchung die gleichen Stollen und Karvernen im Bernstorffschen Salz möglich, wie sie der Enteignunsantrag vorgesehen habe. „Das Bundesamt ist nur zu einem anderen Paragraphen des Bundesberggesetzes gewechselt“, erklärte er.
Gänzlich andere Gründe nannte gestern allerdings der Sprecher des Bundesamtes für Strahlenschutz für seine Entscheidung. Nach Ansicht von BfS-Sprecher Eckart Viehl wird der südwestliche Teil des Gorlebener Salzstocks für den Bau eines atomaren Endlagers in Gorleben wahrscheinlich nicht benötigt. Im Nordostfeld des Salzstocks, das das BfS ungestört von Eigentumsrechten erkunden kann, sei man im ersten Erkundungsbereich auf „große geschlossene Steinsalzparteien“ gestoßen. Außerdem seien die Mengen an atomaren Abfällen, mit denen das Bundesamt inzwischen rechne, geringer als ursprünglich prognostiziert. „Nach gegenwärtigem Stand kann der Nordostteil für das geplante Endlager ausreichen.“
Wie Viehl weiter ausführte, erwartet das BfS bis zum Jahr 2080 für die Bundesrepublik ein Gesamtaufkommen von 440.000 Kubikmetern an schwachwärmeentwickelnden und weiteren 50.000 Kubikmetern an hochradioaktiven Abfällen. „Wir hoffen, daß diese Mengen im Nordostfeld Platz finden“, sagte Viehl. Eine endgültige Entscheidung werde allerdings erst im Jahre 2005 fallen, wenn die Erkundung abgeschlossen und ausgewertet sei.
Der BfS-Sprecher bestätigte außerdem, daß der heiße hochradioaktive Abfall schon aus technischen Gründen zusammen mit weitaus größeren Mengen an schwachwärmeentwickelnden Abfällen endgelagert werden muß. Genau das aber macht ein separates Endlager für schwachwärmeentwicklende Abfälle, wie es in Schacht Konrad entstehen soll, überflüssig. Jürgen Voges
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