: Bilderrätselkunsterziehung
■ Die Ausstellung „Sinnbilder der Hoffnung“ fragt im Gerhard-Marcks-Haus, wie es zeitgenössische BildhauerInnen mit der Religion halten
Im Gerhard-Marcks-Haus hat man sich schon Sorgen gemacht. Zur Pressevorbesichtigung der neuen Ausstellung war statt der üblichen fünf bis gelegentlich auch zehn RezensentInnen nur ein einzelner erschienen. „Wir dachten, daß es vielleicht kein Thema für Bremen ist“, zog eine Mitarbeiterin des Bildhauermuseums ihre Schlüsse aus der geringen Medien-Resonanz. Aber – so muß man sie beruhigen – natürlich ist die neue Ausstellung namens „Sinnbilder der Hoffnung“ ein Thema. Auch und gerade für Bremen. Der Bildhauer Thomas Duttenhoefer hat die Schau mit Plastiken aus mehreren Jahrtausenden für den Deutschen Katholikentag im Juni in Mainz zusammengestellt und mit dem Untertitel „Die Moderne in der Archaik – Das Archaische in der Moderne“ versehen. Für Bremen wurde sie neu konzipiert und handelt nicht nur von Archaik und Moderne, sondern stellt die Frage, wie es bildhauerisch tätige KünstlerInnen mit der Religion, ihren Symbolen und ihrem Unendlichkeitsversprechen halten.
Bremen oder die BremerInnen gelten in den Augen von Museumsleuten noch immer als bilderfeindlich oder – milder formuliert – als bilderarm. So ist die Abteilung Mittelalter im Bremer Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte vergleichsweise klein. Seit der Reformation sind die Relikte und Spuren jener Zeit gezählt, in der von Bremen die Christianisierung des Nordens ausging. Das hat bis heute Folgen: Die Bezüge auf religiöse Symbolik in der zeitgenössischen Kunst würden anderswo von den Betrachtern erkannt, sagte einmal der Weserburg-Chef Thomas Deecke, „hier in Bremen aber muß man sie erklären“. Genau in diese Lücke stößt die neue Ausstellung im Gerhard-Marcks-Haus. Und wohl wegen dieser Lücke haben sich die AusstellungsmacherInnen in der südlichen der beiden ehemaligen Ostertorwachen für ein eigenwilliges Konzept entschieden: nämlich eine Mischung aus Kunsterziehung und Bilderrätsel.
Eine zeitgenössische Stele mit Zeichen, Kritzeleien und Wieder-unkenntlich-Machungen (von Ingrid Hartlieb) trifft da gleich im Eingangsbereich auf einen grob ins 4. bis 6. Jahrhundert datierten Grabstein mit einer vergleichsweise ausführlichen Inschrift. Bernhard Graf Bylandt-Rheydts um 1970 entstandener und archaisch einfacher „Hockender“ ist da konfrontiert mit einer – archaisch einfachen – Säulenfigur aus dem 11. Jahrhundert. Schon diese Gegenüberstellungen sorgen für die erste von vielen ästhetischen Überraschungen.
Wie schon häufiger bei übernommenen Ausstellungen ist ein Nebenraum den Arbeiten – hier „frommen“ Figuren – des Hauskünstlers Gerhard Marcks vorbehalten. Die vier größeren Museumsräume sind formell streng in die Abschnitte „Spur“, „Figur“, „Schiff“ und „Schrein“ gegliedert. Die 32 Objekte, deren ältestes aus dem 5. vorchristlichen Jahrtausend stammt und deren neuestes erst in diesem Jahr geschaffen wurde, sind nicht einzeln beschriftet. Nur auf jeweils einer Tafel pro Raum sind die Angaben aufgelistet. Man kann sich für den Rundgang zwar mit einem Handzettel ausrüsten, doch spannend wird die Schau erst, wenn man frei rätselnd nach Archaik in der Moderne sucht und – jede Menge Beziehungen findet.
Das Verhältnis von (christlicher) Kirche und Kunst ist von Spannungen geprägt. Und doch haben sich mit Joseph Beuys, Alfred Hrdlicka oder Francis Bacon viele KünstlerInnen mehr oder weniger offen mit Themen beschäftigt, mit denen sich auch die Kirche(n) beschäftigen. Das Begriffspaar Leiden/Hoffnung spielt dabei eine zentrale Rolle – egal, ob sich die KünstlerInnen dabei direkt auf religiöse Symbole beziehen oder nicht. Im Gerhard-Marcks-Haus nimmt Jindrich Zeithamml mit seinen Schreinen deutlich Bezug zu religiös/kultischer Architektur. Das wäre wohl auch ohne den wie andere alte Stücke aus Leihgaben zwischen Bremerhaven und Trier stammenden Reliqiuar aus dem 18. Jahrhundert leicht zu erkennen. Hede Bühls halb kokonhafte, halb gemarterte Figur oder Jean Amados vollbepackte Schiffsskulpturen erhalten aber durch die Gegenüberstellung mit christlichen Sinnbildern erheblich ausgeweitete Deutungsmöglichkeiten, und diese im Gerhard-Marcks-Haus geweckte Entdeckungslust macht die Ausstellung zu einem Erlebnis. ck
„Sinnbilder der Hoffnung“ bis zum 15. November im Gerhard-Marcks-Haus; Katalog 19 Mark
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