: „Wir dachten, Ahmet macht nur Spaß“
■ Nach dem Amoklauf eines Libanesen sucht die Polizei Motiv und Täter/ Zwei Personen schwer verletzt / Befürchtete Racheakte blieben vorerst aus
„Hausmeister, Hausmeister!“ hatte er rufen hören. Doch als Harald K., Hausmeister eines kleinen Asylbewerber-Wohnheims im gutbürgerlichen Hastedt, die Tür seines Kabuffs öffnete, da habe der elfjährige Isa Y. schon dagestanden mit seiner klaffenden Wunde im Hals.
Die Ereignisse am Dienstag nachmittag auf der Hastedter Heerstraße müssen selbst für die direkt Betroffenen wie ein kurzer, böser Film abgelaufen sein. „Wir dachten, der Ahmet macht einen Spaß“, habe der schwerverletzte türkische Junge gedacht – berichtet Harald K. – als sein Nachbar mit dem Messer auf ihn zukam. Gemeinsam mit Freunden hatte er neben dem Mehrfamilienhaus gestanden und hier, wie so oft, an seinem Fahrrd gebastelt, als Ahmet F., ein 22jähriger Asylbewerber aus dem Libanon, an ihn herantrat und dreimal mit dem Messer auf ihn einstach. Dann entdeckte der Mann bei der nahegelegenen Bushaltestelle seine 17jährige Ehefrau, die kurz zuvor weinend aus dem Haus gelaufen sein soll, ging wortlos auf sie zu und versetzte ihr mehr als 20 Messerstiche. Soweit die Angaben der Polizei – über die Motive gab es gestern abend noch keine Hinweise. Frau F. schwebt in Lebensgefahr.
Sekunden nach der Tat stand Harald K., der Hausmeister, auf der Straße. Er habe nur den blutenden Jungen gesehen, ihn in sein Auto gepackt und sei ins Sankt-Jürgen-Krankenhaus gerast. „Ich krieg keine Luft mehr!“ habe Isa Y. gestöhnt – an der chirurgischen Unfallaufnahme aber habe man darauf eher cool reagiert. Nach „einer Ewigkeit“ sei ein Arzt gekommen, habe sich den nach Polizeiberichten lebensgefährlich verletzten Elfjährigen kurz angeguckt und ihn mit einer kurzen Wegbeschreibung zur Kinderklinik weitergeschickt. Nicht einmal die Kinderklinik sei auf die Ankunft des Schwerverletzten vorbereitet worden. „Das wird ein Nachspiel haben“, versicherte gestern die Sprecherin des Sankt-Jürgen-Krankenhauses auf Nachfrage. Es habe am Dienstag nachmittag – wegen eines Kongresses – leider eine Unterbesetzung in der Unfallchirurgie gegeben.
Während der Elfjährige gestern abend nicht mehr in Lebensgefahr schwebte, suchte die Polizei weiterhin nach einem Motiv und dem Täter. Natürlich gehe im Wohnheim jetzt die Angst um, so Harald K., aber eigentlich sei es hier immer sehr friedlich gewesen. Und auch der Bruder des niedergestochenen Isa Y. betonte gegenüber der taz: Tür an Tür habe man mit der Familie aus dem Libanon gewohnt und habe sich bestens verstanden. Wie's weitergeht? „Die Polizei muß den Mann verhaften“, so still der junge Mann, in dessen Familie der Elfjährige aufwächst. Daß seine türkische Verwandtschaft in Tenever nun „Jagd auf den Libanesen“ mache, wie eine Bremer Zeitung gestern berichtete, „das ist alles gelogen“.
Dafür gab es auch in Tenever gestern keinerlei Anzeichen. Unter den Schülern an der Walliser Straße wußte am Mittwoch nachmittag noch keineR der Befragten etwas von der Tragödie in Hastedt, und auch im Freizeitheim an der Koblenzer Straße waren nur die Erzieher informiert: „Aus der Zeitung.“ Bei der Polizei wird die Meldung von einer Treibjagd auf Ahmet F. als Zeitungs-Ente gehandelt: Diese sogenannten 'Befürchtungen der Polizei' „basieren nicht auf unseren Angaben“, so am gestrigen Mittwoch Polizeisprecher Sebastian Kappner. DieAttacke des 22jährigen, der von Harald K. als „ein sehr netter, ruhiger Mann“ beschrieben wird, sei ganz bestimmt nicht geplant gewesen: „Der hatte das Pech, gerade da zustehen. Es hätte auch ein Deutscher sein können.“ ritz
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