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Politiker mit Sex-Hotlines

■ Seit heute werben in Mitte 1.000 Plakate mit 0190-Hotlines für "Politiker-Direkt-Kontakt". Eine Kunstaktion, zehn Tage vor der Wahl, will die Ähnlichkeiten zwischen Werbung und Politik zeigen

Sie sind direkt, schnell und verheißungsvoll, die Telefonnummern mit der 0190-Einwahl. Längst sind es nicht nur die Sex- Hotlines, die über diese Nummern Versprechungen machen. Bei Juristen kann man sich „preiswert – schnell – einfach“ für 3,63 Mark pro Minute zwar keinen runter-, dafür aber Recht holen.

Seit heute nun sind vier neue 0190-Nummern auf dem Markt, genauer gesagt, in Mitte. Auf eintausend Plakaten wird ein einzigartiger „Politiker-Direkt-Kontakt“ versprochen. Zehn Tage vor der Wahl können Berliner für 81 Pfenning die Minute, den billigsten 0190-Tarif, „Die Partei der anonymen Politiker“, „Die Glaubensfront“, „Die konservatorische Fortschrittspartei“ und „Die Partei des revolutionären Zentrums“ kennenlernen. „Live“ und „anonym“. Ähnlichkeiten mit existierenden Parteien sind rein zufällig, aber durchaus gewünscht.

Hinter dem Wahlangebot steckt der Künstler Viktor Kegli. Der 33jährige hat bei der Telekom die Nummern für eine Kunstaktion geschaltet, eine interaktive Geschichte sozusagen. In der Politik gehe es ebenso wie in der Gesellschaft um Versprechen und Schein, deshalb seien die letzten Tage vor der Wahl der beste Zeitpunkt, sagt er. Wer eine der vier Nummern wählt, wird, wie auch bei den Sex- und Werbe-Hotlines, mit einem Band verbunden, das spricht und verspricht. Kegli will damit eine Analogie zur Werbung herstellen, die auch vorgaukelt und verheißungsvoll daherkommt. Es gibt jedoch auch die Möglichkeit, eingehende Anrufe selbst zu beantworten. Dazu muß man nur in die Brunnenstraße 192, in die „Parteizentrale“, gehen, wo die zu den Nummern gehörenden vier Telefone in einer Galerie stehen.

Kegli war 1995, als Luxemburg Europa-Kulturhauptstadt war, mit seiner Idee gescheitert, von der Bundeswehr ein Feld vor der Stadt bombardieren zu lassen, um auf den Krieg in Jugoslawien aufmerksam zu machen. Bei seiner Wahlaktion dürften die Erfolgschancen besser stehen. Immerhin hat er mehr als 2.000 Mark investiert. Doch Geld verdienen will er damit nicht. „Es wird keiner anrufen“, glaubt er. Eine Prognose, die ebenso unsicher wie der Wahlausgang ist. Barbara Bollwahn

Brunnenstraße 192, HH, V.Stock, Mo.–Fr. 16–18 Uhr, Finissage mit Umtrunk am 27.9. 1998 ab 18 Uhr

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