: Vertrauen in die Pannenzüge
Nach Störungen stoppte das Eisenbahnbundesamt Neigetechnik-Züge von Adtranz. Noch steht die Bahn zum Hersteller und will nur einen Plan zur Schadensbehebung ■ Von Stefano Recchia
Bei der Deutschen Bahn herrscht Krisenstimung: Bereits am vergangenen Freitag wurden 49 „hochmoderne“ Neitech-Züge auf Anordnung des Eisenbahnbundesamtes aus dem Verkehr genommen. Als Begründung wurden „gefährliche Pannen“ genannt. Unter anderem habe das Ausfallen einer Luftfeder die Neigung der Wagenkästen beeinträchtigt. Die Bahn äußerte Kritik an Hersteller Adtranz und behielt sich „mögliche Konsequenzen“ vor.
Als sich dann am Dienstag Manager des Zugherstellers Adtranz und der DB zu einem Krisengipfel trafen, einigten sie sich, das Kriegsbeil vorläufig zu begraben. An den Pannenzügen wird nun festgehalten: „Wir schenken Adtranz unser vollstes Vertrauen“, sagte Bahnsprecher Hartmut Sommer gestern der taz. Die Lage sei ernst, doch keine Sorge: Bis Ende des Jahres werde die Technik „mit Sicherheit funktionieren“. Bis Freitag soll Adtranz, 1995 aus einem Joint- venture zwischen AEG und ABB Henschel hervorgegangen, einen Plan zur Schadensbehebung vorlegen. Doch während auf den betroffenen Strecken in Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland „herkömmliche Züge“ einstweilen aushelfen, wird bei den Fahrgästen Protest laut. Es kommt zu Verspätungen von bis zu 25 Minuten. Heftig kritisieren die rheinland-pfälzischen Grünen die „verantwortungslose Vorgehensweise“ von Adtranz und Deutscher Bahn AG. Der Mainzer Landesregierung werfen sie vor, „Druck auf den Hersteller“ ausgeübt zu haben, um schnelle Erfolge in der Verkehrspolitik vorweisen zu können. „Die Fahrgäste waren die Testpersonen“, kommentiert Grünen-Sprecherin Elke Klitz sarkastisch.
Die CDU warf Adtranz Managementfehler sowie „schwere Versäumnisse“ bei der Entwicklung vor. „Der gute Ruf der deutschen Eisenbahnindustrie steht auf dem Spiel“, sagte der CDU-Lantagsabgeorndete Georg Gölter.
Der direkt Betroffene hüllt sich einstweilen in Schweigen: Adtranz-Sprecher Hans Christian Maaß war gestern für ein Statement nicht zu erreichen. Inoffiziell heißt es aus dem Unternehmen, die zu kurze Planungs- und Entwicklungsphase könne „eine mögliche Ursache“ für das wiederholte Versagen sein. Das läßt Bahnsprecher Sommer nicht gelten: Als man seinerzeit mit AEG ins Gespräch kam, habe das Unternehmen selbst eine zweijährige Planungsphase als „vollkommen realistisch“ angesehen. Was konkret den Fehler verursacht habe, müsse man erst herausfinden. Denn die VT-611-Züge seien „an sich zuverlässig“.
Die Zusammenarbeit der beiden Firmen hatte eigentlich vielversprechend begonnen: Die beiden Adtranz-Partner, so ein damaliger Spiegel-Bericht, „schienen wie füreinander geschaffen“. Die AEG war vor allem in Deutschland stark, ABB dagegen verfügte über ein weltweites Produktions- und Vertriebsnetz. Das machte die Beteiligten Übermütig: Gleich zu Beginn der Zusammenarbeit 1995 teilte Adtranz seinen Auftraggebern mit, auf die üblichen langen Erprobungsfahrten könne verzichtet werden. Computersimulation mache dies überflüssig. Doch die anfängliche Begeisterung währte nicht lange, und wenig später kam die erste Ernüchterung: Bereits Ende 1996 hatte man die Neitech- Züge des Typs VT611 erstmals vom Gleis holen müssen, als eine Getriebestange einen Tank aufschlug. Kleinere Pannen folgten. Bahnsprecher Sommer führt diese „Zwischenfälle“, wie er besorgt zugibt, auf die „schwierige Zusammenarbeit“ von AEG und ABB zurück. Doch selbst jahrelanges Mißmanagement und Fehlplanung bei Adtranz scheinen für die DB- Leitung kein Hindernis zu sein: Die Zusammenarbeit werde „keineswegs in Frage gestellt“. 150 weitere Züge desselben Typs sind bei Adtranz bestellt, und „dabei soll es auch bleiben“, erklärte Sommer gestern.
Einzig der rheinland-pfälzische Verkehrsminister Rainer Brüderle (FDP) hat Gespräche mit Adtranz-Konkurrent Talbot angekündigt. Die anderen warten geduldig, schießlich gilt Adtranz als weltweit führender Hersteller von Lokomotiven und Schienenteilen. Und das bedeutet Arbeitsplätze. Auch wenn 1.400 Stellen demnächst abgebaut werden: Über 7.000 Menschen bleiben bei Adtranz in Deutschland beschäftigt.
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