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Keinen Jazz zur deutschen Einheit

■ Bayerischer Ministerpräsident eskaliert Hymnenstreit mit Boykottdrohung. Niedersachsen: Stoiber hatte schon frühzeitig abgesagt

Hannover (taz) – Das 15minütige Jazz-Stück, das am 3. Oktober in Hannover zum Auftakt der offiziellen Einheitsfeier erklingen soll, bringt nach CDU-Generalsekretär Hintze nun weitere Unionspolitiker in Rage. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) hat jetzt durch die Drohung mit einem Boykott der Einheitsfeier in Hannover den Streit um das Stück eskaliert, das in genau 48 Takten das Peter-Kreuder-Stück „Good bye, Johnny“ und damit auch dessen Plagiat, die DDR- Hymne, verjazzt zitiert. Nach Meinung der Staatskanzlei in Hannover ist diese Boykottdrohung aber gar keine: Stoiber wollte seit langem am 3. Oktober lieber den 10. Todestag von Franz Josef Strauß als den Tag der Deutschen Einheit begehen. Öffentlich kündigte der bayerische Ministerpräsident am Dienstag an, daß er der Einheitsfeier in Hannover fernbleiben werde, falls Niedersachsen im Musikprogramm nicht auf die DDR- Nationalhymne verzichte. Die „Gefühle der Opfer des DDR-Regimes“ würden durch die 15minütige Komposition des Musikers Bardo Henning verletzt.

Auf die Boykottdrohung aus Bayern reagierte die niedersächsische Staatskanzlei gestern mit der Veröffentlichung eines Stoiber- Briefes, der schon 14 Tage zuvor bei Gerhard Schröder eingegangen war. „Von einem Boykott der Feier durch Stoiber kann keine Rede sein“, sagte gestern Schröders Regierungssprecher mit Blick auf den Stoiber-Brief. Darin schreibt der bayerische Ministerpräsident wörtlich: „Nur zu gerne wäre ich selbst nach Hannover gekommen und hätte an den Feierlichkeiten teilgenommen. Dies ist mir aber beim besten Willen nicht möglich, weil ich durch die Gedenkfeier für Franz Josef Strauß, der vor zehn Jahren verstorben ist, fest gebunden bin.“ Als Vertreter Stoibers bei den Feierlichkeiten hat der stellvertretende Ministerpräsident und bayerische Kultusminister Hans Zehetmair längst zugesagt.

Das Jazz-Stück, das am 3. Oktober nach Angaben des niedersächsischen Innenministeriums auf jeden Fall uraufgeführt werden soll, hat übrigens noch niemand gehört. Die Big-Band der hannoverschen Musikhochschule steht noch am Anfang der Proben, und Partituren können wohl die wenigsten Politiker lesen. Ob in dem Stück überhaupt die DDR-Hymne vorkommt, ist zu Recht umstritten. Zitiert und variiert werden in 48 Takten die ersten Noten des Peter- Kreuder-Stücks „Good bye, Johnny“. In einem anderen Takt bilden diese Noten auch den Anfang der DDR-Nationalhymne. In Hannover allerdings werden diese Noten weder im Kreuder- noch im DDR-Takt gespielt, sondern in einem Jazz-Takt. Jürgen Voges

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