Dialog ausgeschlossen

■ Albanien kommt nicht zur Ruhe. Sali Berisha rief auch gestern zum „Sturz der Diktatur“ auf. Die gewählte Regierung will den Oppositionsführer hinter Gitter bringen. Auf den Straßen demonstrieren die Claqueure Berishas. Die Stadt ist leer – alle Auslandsflüge sind ausgebucht

Tirana hat eine ruhige Nacht hinter sich. Vielen Albanern war am Mittwoch die Erleichterung buchstäblich an ihren Gesichtern abzulesen. Sie hatten befürchtet, die mühsame Aufbauarbeit der vergangenen Monate könnte ein weiteres Mal zunichte gemacht werden. „Ich glaube, das Schlimmste ist überstanden“, meinte ein albanischer Journalist in Tirana; nicht ohne hinzuzufügen, daß er sich natürlich auch täuschen könne, denn die Ereignisse in diesem Land hätten mit Logik nichts zu tun.

Innenminister Perikli Teta hatte mehrfach erklärt, der Staatsstreich der bewaffneten Opposition von Sali Berisha sei gescheitert und die Ordnungskräfte wieder Herr der Lage. Er forderte seine Landsleute auf, zum normalen Leben zurückzukehren. Aber trotz behördlicher Aufmunterung ist die Normalität längst nicht wieder eingekehrt. Es herrscht eine fast gespenstische Ruhe, hin und wieder durchbrochen von einzelnen Schüssen. Den wenigen Leuten auf der Straße ist die Anspannung anzumerken. Wer es einrichten kann, bleibt überhaupt zu Hause.

Die Lehrer halten ihren Unterricht nur vor stark gelichteten Reihen ab. Viele Geschäfte lassen ihre Türen verriegelt. Aber deutlich mehr Ladenbesitzer als am Vortag zogen ihre Rolläden wieder hoch. Am Dienstag gab es auch wieder Zeitungen. In die Kaffeehäuser der Stadt, von der man sagt, die Hälfte ihrer Menschen koche Kaffee und die andere Hälfte trinkt Kaffee, wagten sich die ersten Gäste. Manche Geschäftsinhaber waren dabei, die Scherben wegzukehren. Im Laufe der Unruhen vom Montag waren zahlreiche Läden im Zentrum geplündert worden.

Demonstrativ lassen die Sicherheitskräfte weiter ihre Muskeln spielen. Lange Polizeikonvois mit heulenden Sirenen ziehen den ganzen Tag ihre Schlaufen durch das Stadtzentrum. Mitglieder von schwerbewaffneten Spezialeinheiten, ihre Gesichter mit blauen und schwarzen Strumpfmasken verhüllt, patroullierten in privaten Autos und kleinen Camions und sind in dieser Montur von den bewaffneten Banden kaum zu unterscheiden. Die Polizei hat das Recht, bei Problemen ohne Warnung zu schießen. Und um ihre Motivation zu erhöhen, erhielten die Sicherheitsbeamten Lohnerhöhungen und saftige Prämien.

Etwa 500 Leute beteiligten sich gestern um die Mittagszeit an einer weiteren Demonstration. Den Namen von Sali Berisha skandierend und ihre Hände zum Siegeszeichen geformt, drehen sie eine Runde um die Fontänen auf dem zentralen Skanderbeg-Platz und gehen dann weiter zum Parteisitz der Demokraten. Ausgesprochen viele Frauen sind diesmal dabei. Die Polizei hält sich zurück und greift nicht ein, obwohl die Demonstration nicht genehmigt war. Berisha hatte zuvor seine Anhänger zu Gewaltlosigkeit aufgefordert und der Regierung die Schuld an der Eskalation gegeben.

Aus großen Lautsprechern auf dem Balkon der Zentrale der Demokratischen Partei ertönt endlos Trauermusik zum Gedenken an den am Samstag ermordeten Politiker Azem Hajdari. Sein Tod war der Anlaß für die Unruhen, die am Montag ihren vorläufigen Höhepunkt fanden. Verschwunden sind die beiden von Parteianhängern erbeuteten Panzer, die dekoriert mit Hajdari-Porträts am Dienstag den Behörden zurückgegeben wurden. Mehrere der Männer, die sich auf dem Vorplatz versammelt haben, tragen ganz offen ihre Waffen. Ein geparktes Auto enthält einen ganzen Stapel Kalaschnikows.

Trotz der vordergründigen Ruhe wagt niemand zu sagen, wie es weitergehen könnte. Das Parlament hat die Ereignisse vom Montag als Staatsstreich gewertet und verlangt folglich die Aufhebung der parlamentarischen Immunität von Sali Berisha. Premier Fatos Nano hat als Bedingung für einen Dialog mit der Opposition deren Entwaffnung verlangt. Der Schriftsteller Remzi Lani meinte in einem Gespräch, er glaube nicht, daß die Regierung stark genug sei, um Berisha verhaften zu können. Er sieht deshalb Albanien in einem dunklen Tunnel verschwinden. Eine politische Lösung hält Lani im Moment für undenkbar. Nano und Berisha seien Feinde, die unfähig zu einem Dialog sind. Auch eine Expertenregierung wäre keine Lösung, da sie niemanden repräsentiere und noch schwächer wäre als die jetzige Koalition.

Die Menschen zahlen den Preis für die Unfähigkeit ihrer politischen Klasse. Auf die Straße geht ohnehin nur eine kleine Minderheit. Der Großteil sitzt zu Hause, denkt ans Überleben und an die Zukunft der Kinder. Unter den Intellektuellen in Tirana macht sich deshalb Hoffnungslosigkeit breit. Die jüngste Krise, die im Gegensatz zur letzten vor allem eine politische ist, ist zum psychologisch ungünstigsten Moment ausgebrochen. Die Albaner haben genug. Die Flugzeuge von Tirana ins Ausland sind bereits für mehrere Wochen ausgebucht. Astrid Frefel, Tirana