: Gewaltverzicht als neues Credo
Mit ihrem Friedensplan meldet sich die Separatistenorganisation ETA auf der politischen Bühne Spaniens zurück. Dadurch gerät auch Madrid unter Zugzwang ■ Aus Madrid Reiner Wandler
Seit heute um Mitternacht ruhen die Waffen der baskische Untergrundorganisation Baskenland und Freiheit (ETA). Das gaben die Separatisten in einem gestern veröffentlichten Schreiben bekannt. Mit der unbefristeten Waffenruhe „soll eine demokratische Lösung“ des seit nunmehr 40 Jahren schwelenden Konflikts um die Unabhängigkeit der Region ermöglicht werden.
Der Waffenstillstand zeichnete sich seit längerem ab. Während der Sommermonate traf die im Baskenland regierende konservative Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) mit Vertretern der ETA- nahen Herri Batasuna (HB) zusammen. Zeitgleich fanden – laut Presseberichten – in Brüssel geheime Zusammenkünfte zwischen einem hohen Offizier der baskischen Autonomiepolizei Ertzaintza und der ETA-Führung statt. Dabei wurde ein minutiöser Fahrplan für eine Friedensinitiative ausgehandelt.
Zunächst gründete HB unter dem Namen Baskische Bürger (EH) Anfang des Monats ein breites Wahlbündnis für die am 5. Oktober stattfindenden Regionalwahlen im Baskenland. Mit einem gemäßigten Programm und einer großen Zahl unabhängiger Kandidaten gingen die Linksnationalisten damit auf Distanz zur Verherrlichung des bewaffneten Kampfes. Im Gegenzug nahmen die PNV und deren Koalitionspartner Baskische Solidarität (EA) am vergangenen Wochenende in Estella an einem Nordirland-Forum teil, um den Friedensprozeß in Ulster zu analysieren.
Alle anwesenden Parteien und Gruppierungen, neben den drei nationalistischen Kräften das kommunistische Wahlbündnis Vereinigte Linke (IU) und 19 gesellschaftliche Gruppen, unter ihnen die wichtigsten baskischen Gewerkschaften, verabschiedeten eine Erklärung, in der sie einen „offenen Dialog, ohne Ausschluß von Themen und politischen Kräften (...) unter dauerhafter, völliger Abwesenheit aller Gewalt“ einfordern.
Während die Regierungspartei in Madrid, die konservative Partido Popular (PP) und die sozialistische Opposition der PSOE noch dabei waren, der PNV vorzuwerfen, „sie habe sich der Strategie der Terroristen und ihrer Freunde gebeugt“ und „die Einheit der Demokraten gebrochen“, feilte die ETA an den letzten Formulierungen ihrer Erklärung.
Die neue ETA-Strategie scheint aus der Not geboren. Nach dem erfolgreichen Friedensprozeß in Nordirland steht die baskische Organisation international alleine da. Auch zu Hause war die Gruppe zusehends in die politische Isolation geraten, nachdem sie im letzten Jahr immer wieder Attentate gegen Gemeinde- und Stadträte der in Madrid regierenden PP verübt hatte. Immer mehr Menschen gingen unter dem Motto „Basta ya!“ – „Schluß jetzt!“ – auf die Straße.
Das Innenministerium in Madrid brach alle von der sozialistischen Vorgängerregierung gepflegten Kontakte mit der Führung der Separatistengruppe ab. Auch die Justiz hatte dem linksnationalistischen Lager immer stärker zugesetzt. Vergangenen Dezember wurde der gesamte HB-Parteivorstand wegen „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“ zu sieben Jahren Haft verurteilt. Und die HB-nahe Tageszeitung Egin wird seit Juli per Richterbescheid am Erscheinen gehindert. Selbst Stimmen nach einem Verbot von HB wurden lauter. Umfragen sagten HB wegen ihrer bedingungslosen Unterstützung der Gewalt schwere Verluste bei den baskischen Parlamentswahlen am 25. Oktober voraus. Und auch die PNV mußte befürchten, gegenüber der PP Federn zu lassen, seitdem deren Vertreter durch die Attentatskampagne gegen sie zu regelrechten demokratischen Volkshelden avanciert waren. Der Friedensplan bringt die Nationalisten jetzt zurück auf die politische Bühne und Madrid unter Zugzwang.
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