: Feminismus mit Nährwert
Ist Hillary Clinton ein böses Mädchen – oder ein erfolgreiches? Ist Diätwahn ein Fortschritt gegenüber dem Zeitalter des Korsetts? Drei heftig diskutierte Neuerscheinungen auf dem angloamerikanischen Buchmarkt suchen nach Antworten auf die Frage: Was wollen Frauen? Und: Was will heute Weiblichkeit sein? Eine Rezension ■ von Anke Westphal
Was ist Weiblichkeit? Was macht heute ein bad girl, was ein good girl aus? Der Überblick ist so gut wie verlorengegangen, schließlich gibt es heutzutage: Post-Feminismus, Opfer- Feminismus, Power-Feminismus, Feminismus der zweiten oder dritten Generation, ethnisch orientierten Feminismus... Allen Brüchen zum Trotz gibt es immerhin einen Fokus, um den die drei prominentesten angloamerikanischen Neuerscheinungen zur „Frauenfrage“ kreisen: Den Umgang mit dem weiblichen Körper, die Lebbarkeit weiblicher Sexualität.
Die größte Beachtung in den Medien erfuhr das Buch der amerikanischen Schriftstellerin und Harvard-Absolventin Elisabeth Wurtzel, wenn auch vor allem in Form von Verrissen. Wurtzel zählt derzeit zu den berühmtesten und möglicherweise einflußreichsten Meinungsmacherinnen, was den neuen amerikanischen Feminismus anbelangt.
Das mag wohl sehr an Wurtzels flottem und leicht konsumierbarem pop-kulturellen Ansatz liegen. Die Autorin wurde 1995 durch ihren autobiographischen Essay „Prozac Nation“ berühmt, in dem sie ein durch das Antidepressivum „Prozac“ gefiltertes Lebensgefühl als prägende Erfahrung von Massen beschreibt.
Ihr neues Buch „Bitch“ – hier im Sinne von „Miststück“ – sollte ein Loblied auf die schlechten Mädchen, auf die schwierigen Frauen sein. In Essays über Amy Fisher, Hillary Clinton, Elizabeth Taylor, Margaux Hemingway und Nicole Brown Simpson konstruiert Wurtzel eine „Bitchography“ als überlegenes Lebensmuster. Lebensmuster? Wurtzel projiziert eher Neurosenmuster auf ihre Antiheroinen (arme Hillary Clinton!).
Nehmen wir nur Amy Fisher – eine Sechzehnjährige, die Skandal machte, als sie auf die Ehefrau ihres doppelt so alten Liebhabers schoß. Da fragt man sich als „Bitch“-Leserin: Was oder wer ist eine „schwierige Frau“ eigentlich? Eine Kriminelle wie Fisher? Ein Mordopfer wie Nicole Simpson? Eine intelligente Frau wie Hillary Clinton? Eine klinisch-empfindsame Frau wie Margaux Hemingway? Eine komplexe? Normabweichende? Und wenn, von welcher Norm weicht sie ab?
So ziemlich alle Frauen, die starke eigene Auffassungen vertreten und Argumente vorweisen können, gelten als „schwierig“. Das ist kein neues Problem der Gesellschaft. Schon Wurtzels theoretischer Aufhänger wackelt also sehr. Ihr „Bitchismus“ ist nicht mehr als ein schicker Begriff: „Die Bitch als Rollenmodell, als Sinnbild und Idee, besitzt Augenblicke von Stil und gelegentlich Substanz – manchmal sieht es aus wie die neueste Maske, als ob ein Spiel gespielt wird.“ Bitte? „Gelegentlich Substanz“ – das sollte man tief sacken lassen. Dann: „Wer hat mehr Spaß – die Schlampen“ (“the sluts“). – Tatsächlich? Die Kühnheit der Behauptung wird nur noch von ihrer Naivität übertroffen. Die chronisch-depressive Margaux Hemingway hat sich bekanntlich zu Tode gesoffen und gedopt – es steht zu bezweifeln, daß sie in ihren letzten Jahren so besonders viel Spaß hatte und leichten Herzens gestorben ist.
Die mittlerweile dreißigjährige Elisabeth Wurtzel ist selbst hinreichend vertraut mit extremen Körpererfahrungen, auch mit Heroin, Lithium, Speed, Ritalin und anderem. „Ich war wirklich, wirklich unglücklich“, befand bad girl Wurtzel, als ihr Buch „Prozac Nation“ erschien. „Bitch“ liest sich unter diesem Aspekt in erster Linie als ihr eigener Selbstrettungs- und Aufwertungsversuch. Tatsächlich hat Wurtzel „Bitch“ in fünfzigstündigen Speed-Sitzungen herausgekotzt.
„Ich beabsichtige zu tun, was ich tun möchte, zu sein, wer ich sein will, und nur mir selbst Rechenschaft abzulegen: Das ist, ganz simpel, die Bitchphilosophie.“ Wirklich ziemlich simpel, diese Miststück- philosophie. In diesem Fall zeigt sogar das Cover der amerikanischen Originalausgabe, was vom Inhalt zu erwarten ist: Auf ihm zeigt sich Elisabeth Wurtzel nackt. Niemand außer ihr selbst dürfte das provokant finden. Mit „Bitch“ etabliert sie sich – bis in den Stil hinein – endgültig als Trittbrettfahrerin der Neo-/Post-Feministin Camille Paglia. Was an sich nicht weiter anstößig ist, doch ist „Bitch“ nur akademischer Magerquark.
Zur Erinnerung: Camille Paglias biologistische Thesen in „Die Maske der Sexualität“ oder „Krieg der Geschlechter“ liefen darauf hinaus, daß man heutzutage die Wahrheit in den sexuellen Klischees wiederentdecken müsse. Frauen und Männer folgen demnach – geteilt in „dionysisch“ und „apollinisch“ – einem „Masterplan der Natur“, in dem Frauen gleichzeitig eine identifikatorische Einheit mit der Natur bilden. (Was ich naiv genug finde, denn welche Frau ist heutzutage nicht auch fragmentiert?) Außerdem wirke die Gesellschaft sexuell immer restriktiv, weil Sexualität – im Unterschied zur Zivilisation – gleichbedeutend sei mit einem naturhaften Zurücktauchen in die Nacht.
Besonders aufsehenerregend bei Paglia – die Pinkeltheorie: Frauen wässern die Erde; Männern pinkeln einen Transzendenzbogen. Ihr organisches Weltbild übertrug Camille Paglia als Interpretationsmuster auf die Gesellschaft, auf Politik, Kunst und Kultur. Wer das bizarr findet: Camille Paglia muß man nicht nur wegen ihres anhaltend polarisierenden Effekts auf den Feminismus ernst nehmen, sie synthetisierte in einem gewaltigen Kraftakt auch Akademismus und Popkultur. Letzteres war, ohne Zweifel, ein Verdienst.
Tragischer als bei der Paglia-Anhängerin Wurtzel sieht die Sache bei Naomi Wolf aus, einer seriöseren feministischen Theoretikerin. Die Autorin von „Der Mythos Schönheit“ versucht eine empirische Genese der Entwicklung des weiblichen sexuellen Begehrens, mithin soziobiologisch. Naomi Wolf führt sich selbst als Probandin vor; ihre eigene Geschichte der Sexualisierung – als Teenager und junge Frau – stellt sie in den Kontext von Fallgeschichten anderer Mädchen und Frauen.
Wie verwandeln sich Mädchen in Frauen? Was lernen Mädchen über die Bedeutung und den Wert der Phrase „eine Frau werden“ aus dem, was ihnen widerfährt und was sie tun – in sexuellen Beziehungen? Wenn Sexualität integraler Bestandteil von „Weiblichkeit“ ist, wie helfen dann Eltern und Pädagogen den Mädchen, mit dieser Herausforderung umzugehen? Fragen, die Wolf sich am Anfang ihrer Untersuchungen stellt. Mädchen und Frauen, so Naomi Wolf, lassen sich eher mit männlichen Abenteurern ein, um am Abenteurertum indirekt teilzuhaben, als selbst das Wagnis einzugehen, Abenteurerinnen zu sein. Am Ende von „Promiscuities“ kommt bei aller Anstrengung jedoch nicht viel mehr heraus, als daß die Autorin etliche sexuelle Erfahrungen gemacht hat.
„Promiscuities“ ist ein sehr persönliches, sehr amerikanisches Buch, das sich weitgehend aus privaten Erkundungen konstituiert – was als Debattenbeitrag allerdings auch sein Problem ist. Dazu kommt, daß Wolf mögliche – und tatsächlich auftretende – Konkurrenzsituationen leicht überfliegt, wenn sie vorschlägt, daß ältere Frauen jüngere Frauen in sexuellen Belangen als Mentorinnen anleiten sollten.
In den angloamerikanischen Medien wurden die Bücher von Wurtzel und Wolf, wenn auch durch Verrisse, so doch überaus prominent behandelt. Das eigentlich Interessante aber ist, warum wurden die Bücher so prominent behandelt? Zum einen hatte man den Feminismus für weit weniger vital, nämlich für so etwas wie einen Klassiker von durchschlagender Wirkungslosigkeit gehalten. Eine Unterschätzung. Zum anderen ließ sich bei der ersten Generation Feministinnen ein – allerdings verständlicher – Eindruck latenten Beleidigtseins nicht leugnen: Gott, was haben Wolf und Wurtzel es sich doch leicht gemacht, hört man es aus ihren Kritiken stöhnen. Zu Recht. Es geht auch anders.
Von weiblicher Adoleszenz handelt nämlich auch „The Body Project“, doch Joan Jacob Brumberg legt die Geschichte des weiblichen Körpers – anders als Wolf – eher als generelle Kulturgeschichte an. Ihr Buch geht der Frage nach, was die Veränderungen weiblicher Adoleszenz kulturell bedeuten. Joan Jacob Brumberg reüssierte mit einer Arbeit über Magersucht. Nun ist die Cornell-Professorin eine so seriöse, so wenig medial zu verschlagwortende Wissenschaftlerin, daß ihr Einfluß sich wohl vorerst auf den akademischen Raum beschränken wird. Auch schade, denn am Ende von Brumbergs Untersuchungen – und unserem Jahrhundert – stehen Reflexionen über ein Streben nach Perfektion, das sich auch im Umgang mit dem weiblichen Körper als Objekt repräsentiert.
Einerseits, so Brumberg, ist man Korsett und bigotte Ideale von Jungfräulichkeit losgeworden. Andererseits hat man sich Diätwahn, Konsumkult und die – durchaus auch lastende – Verantwortung sexueller Freiheit eingehandelt. Brumbergs Studie dürfte, ergänzt von Wolfs empirisch-fragmentarischerem „Promiscuities“, die bestmögliche Annäherung an eine postfeministische Beschreibung von „Weiblichkeit“ abgeben.
Kehren wir noch einmal zu dem Symptom zurück: dem prominenten Aufmachen der Verrisse feministischer Autorinnen in den Medien. Was sagt es über das Interesse an feministischen Diskursen aus? Doch vor allem, daß das Interesse und die Ansprüche am Feminismus und seinen Splittings ungeheuer groß sind! Durchaus ein Kompliment! Kein Mensch würde sich mit der Lektüre quälen, kein Verleger kostbare Zeitungsseiten hergeben, wenn das Thema keine Relevanz hätte. Doch worin liegt diese?
Doch wohl darin, daß wie stets um Definitionen gestritten wird. Ein Verriß ist noch lange kein Rückschlag für die Frauenbewegung und auch keine Rollenbestätigung – so wie ein Streit noch keine Aufkündigung von Freundschaft sein muß. Distanz ist keine Kälte und Nähe keine Krankheit. Selbst jener Konflikt, der zwischen West- und Ostfrauen um die Definition von Weiblichkeit und Frauenbewußtsein hochkochte, solange West- und Ostfrauen sich noch füreinander interessierten, spiegelt im Grunde nur ein Fortschreiten von Binnendifferenzierungen wider.
Frauen hegen nun einmal nicht die gleichen Vorstellungen von Gleichheit, Emanzipation, Rollenverteilungen und Weiblichkeit. Man muß den Nährwert ihrer Bücher gar nicht so hoch hängen, doch in diesem Kontext sind Elisabeth Wurtzel, Naomi Wolf und Joan Jacobs Brumberg gleichermaßen anzusiedeln – und okay. Was Wurtzel gegen Wolf und Brumberg qualitativ so abfallen läßt, ist allerdings – und ohne Zweifel – die Geschichtslosigkeit. „Die Wurzel der Unterdrückung“, so schrieb Gloria Steinem 1996 in „Feminist Family Values“, „ist der Verlust der Erinnerung.“ Wie wahr. Und auch der körperlichen Erinnerung.
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