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Europa mit Hindernissen

■ Die Umsetzung der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union hat ihre Grenzen: Falsche Vorstellungen führen zu Mißverständnissen, Beamte schießen über das Ziel hinaus

Freizügig und unkompliziert soll es sein, das Leben in der Europäischen Gemeinschaft – so die Theorie. Doch in der Praxis bestimmen oftmals Behördengänge und Mißverständnisse das angeblich grenzenlose Leben.

Das französische Ehepaar Caroline und Jérôme Lages* lebt seit fast fünf Jahren in Berlin. Er ist freier Journalist für einen französischen Radiosender und schreibt seine Doktorarbeit, sie ist Lehrerin an der Europaschule in Reinickendorf. Die 28jährige hat einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit dem Land Berlin, und der Arbeitgeber ihres Mannes ist die Uni Frankreich. „Trotzdem brauchen wir eine Aufenthaltserlaubnis“, wundert sich der 29jährige Franzose. Diese sei unentbehrlich für die Anmietung einer Wohnung oder die Beantragung eines Dispokredites.

Grundlage für den Aufenthalt von EU-Bürgern ist das Ausländergesetz. „Die Freizügigkeit nach EG-Recht kann von Staatsangehörigen der fünfzehn EG-Mitgliedsstaaten ausgeübt werden“, heißt es da. Der nächste Satz jedoch schränkt die Freizügigkeit schon ein: „Wer von ihr Gebrauch machen will, muß bestimmte Voraussetzungen erfüllen, mit deren Verlust das Recht auf europäische Freizügigkeit auch wieder verlorengehen kann.“ Voraussetzung für die Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis ist ein Arbeitsnachweis. Ein Verdienstminimum gibt es nach Angaben der Innenverwaltung nicht. Für Studenten reicht eine Bescheinung der Eltern über finanzielle Unterstützung. Um einen Job zu suchen, darf sich jeder EU-Bürger im Rahmen der „Arbeitnehmerfreizügigkeit“ bis zu drei Monaten im jeweiligen Land aufhalten. Liegt ein Arbeitsnachweis vor, bekommen EG-Bürger für die ersten fünf Jahre eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die danach in eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis umgewandelt werden kann. Soweit die Theorie.

Was das Ehepaar Lages vor wenigen Wochen erlebte, schlägt dem europäischen Faß den Boden aus. Am 1. September erhielten die Eltern einen Anruf der Kita in Prenzlauer Berg, die ihr Sohn Clément seit zwei Jahren besucht. Der Dreijährige müsse sofort abgeholt werden, hieß es. Doch nicht hohes Fieber oder andere ernsthafte Umstände waren der Grund. Das Bezirksamt hatte die Kita informiert, daß die Aufenthaltsgenehmigung der Eltern am Folgetag ablaufen werde. Deshalb dürfe der Sohn nicht mehr die Kita besuchen.

Jérôme Lages, der an diesem Tag gerade vom Krankenhaus gekommen war – seine Frau hatte ein Baby entbunden –, bat um eine Woche Aufschub. Statt auf Verständnis, stieß er auf bürokratische Härte. Ihm wurde erneut gesagt, daß sein Sohn ab dem 2. September in der Kita „unerwünscht“ sei. Nach langem Hin und Her erreichte er eine „Gnadenfrist“ von drei Tagen. Er mußte versprechen, innerhalb von 48 Stunden eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vorzulegen. Nach stundenlanger Wartezeit verlangte ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde außer dem Arbeitsvertrag seiner Frau einen Verdienstnachweis. „Der Beamte duldete nicht, daß ein unbefristeter Vertrag nicht jeden Monat neu geschrieben wird“, so Jérôme Lages. Außerdem habe er monatliche Kontoauszüge vorlegen müssen. Schließlich bekam er eine fünfjährige Aufenthaltserlaubnis. Sein Fazit: „Noch immer ist es einfacher, Aktien in London zu kaufen oder einen deutschen Betrieb in Lissabon anzusiedeln, als als Franzose in Berlin zu studieren oder zu arbeiten.“

Ein Mitarbeiter des französischen Konsulates weiß von vielen Landsleuten, die nicht verstehen, warum sie als EU-Mitglieder überhaupt eine Aufenthaltserlaubnis brauchen. Viele beschweren sich nach seinen Angaben über Probleme, diese zu erhalten. „Zu lange Wartezeiten, zuviel Papierkram und jede Menge Finanznachweise“, so der Franzose. Besonders Künstler ohne feste Anstellung hätten es schwer, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. In Berlin leben knapp 8.500 Franzosen.

Ein Mitarbeiter des spanischen Generalkonsulats sagte gegenüber der taz, daß viele Spanier nach mehreren Jahren Aufenthalt überrascht feststellen würden, daß sie sich illegal hier aufhalten, weil sie davon ausgegangen waren, als EU- Mitglieder keine Aufenthaltserlaubnis zu brauchen. Derlei „falsche Vorstellungen“ würden manchmal zu Mißverständnissen auf den Ämtern führen. Der Konsulatsmitarbeiter beschreibt die Anforderungen, um hier leben und arbeiten zu können, als „nicht butterweich, aber auch nicht knallhart.“ Derzeit leben knapp 3.200 Spanier in Berlin. Das am stärksten vertretene EU-Land in Berlin ist Italien mit derzeit knapp 13.000 gemeldeten Italienern. An zweiter Stelle liegen die Griechen mit knapp 11.000. Barbara Bollwahn

* Namen von der Red. geändert

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