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■ Bei Sotheby's wird im November ein Teil der berühmten Reader's Digest Collection versteigert

Überraschend kam die Nachricht nicht, die das Auktionshaus Sotheby's letzte Woche in New York bekanntgab: 39 Werke aus der Reader's Digest Collection werden am 16. November an der Park Avenue in Manhattan zur Versteigerung gelangen. Aufgerufen werden weltbekannte Meisterwerke, darunter zwei Porträts, die Modigliani von seiner Geliebten Jeanne Hébuterne malte, Monets „Seerosenbecken“ von 1918, Cézannes „Landschaft bei L'Estaque“ (1882–85) und van Goghs wenige Wochen vor seinem Tod entstandene „Strohhütten mit zwei Frauen“ (1890). Die Sammlung umfaßt Hauptwerke von Giacometti und Renoir, Matisse und Chagall. Sotheby's-Präsidentin Diana D. Brooks erwartet einen Gesamterlös zwischen 70 und 100 Millionen Dollar. Zusammengetragen hatte die Reader's-Digest- Sammlung, die zuletzt vor zehn Jahren unter anderem im Amsterdamer Van-Gogh-Museum zu sehen war, das Ehepaar William Roy DeWitt und Lila „Bell“ Acheson Wallace. Beide hatten nach dem Ersten Weltkrieg die Idee, Artikel anderer Zeitschriften zusammenzustellen, mundgerecht zu kürzen und mit Schmonzetten und Lebensweisheiten anzureichern. Als sie für dieses Konzept, das das Wall Street Journal später den „Top- Publikationserfolg seit der Bibel“ nennen sollte, keinen Verleger fanden, gründeten beide einen eigenen Verlag; im Januar 1922 erschien die erste Ausgabe von „The Best of Reader's Digest“.

Ende der 30er Jahre begann dann vor allem Lila Acheson Wallace mit dem Aufbau einer Kunstsammlung, die im Verlagsgebäude in Pleasantville/New York neben den Angestellten jährlich von mehr als 2.000 Besuchern besichtigt werden konnte – „Corporate Collecting“ würde so etwas heute heißen. Zu den ersten Erwerbungen zählte Utrillos Stadtansicht „Chartres“ von 1912; später folgte Degas' Pastell „Tänzerin in rosa“ (1900), 1951 dann van Goghs „Strohhütten“, die sich zuvor in der Sammlung Erwin D. Swann in Riegelsville/Pennsylvania befunden hatten. Heute umfaßt die Sammlung mit Arbeiten des Impressionismus oder der Hudson River School bis hin zu Minimalismus und Pop-art rund 8.000 Werke in allen Medien, Fotografie und Grafik eingeschlossen.

Mit dem Fernseh- und spätestens dem Internet-Boom begann der Stern der gezappten Zeitschrift Reader's Digest allerdings kontinuierlich zu sinken. Der ehemalige Chefredakteur Peter Canning berichtet in seinem vor zwei Jahren erschienenen Buch „American Dreamers: The Wallaces and Reader's Digest“ aber auch davon, daß das kinderlose Ehepaar vor seinem Tod (1981 beziehungsweise 1984) von zu vielen falschen Freunden ausgenommen worden sei. So habe allein Laurence Rockefeller – eher zum eigenen Ruhm als zu dem seiner Klienten – das betagte Verlegerpaar überredet, mehr als 2,5 Milliarden Dollar für Universitäten, Museen, den New Yorker Zoo und die Krebsforschung zu spenden: „Von ihrem Königreich blieb für sie selbst nicht mehr viel übrig.“

Die Vision, die Lila Acheson Wallace mit dem Sammeln der Kunstwerke verfolgt habe, sei inzwischen Wirklichkeit geworden, begründet der Vorstandsvorsitzende von Reader's Digest Association, Inc., Thomas O. Ryder, den Entschluß, sich nun vom Kernbestand einer der ältesten Firmensammlungen der Welt zu trennen: „Die Stücke sind die Meisterwerke von heute und morgen geworden.“ Ein spätes Blumenstilleben Vincent van Goghs, das als eine Art Versuchsballon schon am 13. Mai ebenfalls bei Sotheby's in New York aus der Reader's-Digest- Sammlung zum Aufruf kam, dürfte den Entschluß bekräftigt haben: Es fand bei 4.072.500 Dollar einen privaten Käufer. Stefan Koldehoff

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