■ Vorschlag: Mißbrauch, Mord und Mafia: „Pianese Nunzio“ im Xenon
Sanitá ist ein heruntergekommenes Viertel in Neapels Altstadt. Die Gassen sind eng und dunkel, die Wohnungen schäbig. Hier gehen die wenigsten einer geregelten Arbeit nach, Jugendliche lungern an Straßenecken, und die Camorra, der lokale Ableger der Mafia, mischt kräftig mit. Dieses bald düstere, bald pittoreske Szenario entwirft der italienische Regisseur Antonio Capuano in seinem Spielfilm „Pianese Nunzio – vierzehn im Mai“. Kleinkriminalität, Prostitution und vor allem das Blutvergießen durch die Camorra-Angehörigen lassen das Viertel zu einem zeitgenössischen Sündenbabel werden. Nur einer wagt es, gegen die Mafia und deren Mitläufer vorzugehen: der junge katholische Priester Lorenzo Borrelli. Natürlich macht er sich damit einflußreiche Feinde. Und die brauchen nicht lange, um den wunden Punkt in der Vita des Priesters auszumachen: Der Geistliche mag nicht nur modische Kleidung, er mag auch pubertierende Jungs. Vor allem mag er den 13jährigen Nunzio, der inmitten der Verkommenheit seiner Umgebung wie die personifizierte Unschuld erscheint. Und Priester Borrelli mag den Jungen so sehr, daß seine Zuneigung das Platonische weit hinter sich läßt.
Capuano unternimmt den Versuch, hochaufgeladene Themen zusammenbringen: sexuellen Mißbrauch und Mafia, Päderastie und Katholizismus. Auffällig dabei ist, mit welchem Wohlwollen der Regisseur seinem Protagonisten begegnet. Über weite Strecken hinweg erscheint der Priester als moderne Variante des antiken Lehrers, der seinem Schüler gibt, was andere ihm vorenthalten: Liebe, Halt, sexuelle und geistige Unterweisung. Spät erst verabschiedet sich Capuano von dieser Phantasmagorie, wird die Figur Borrellis als das dargestellt, was sie ist: ein Mensch mit einem Problem in Gestalt eines religiös unterfütterten Reinheitswahns, der ihn geradezu zwingt, nach jugendlicher Unschuld zu verlangen. In diesem Sinne ist es nur konsequent, wenn der Geistliche sich schließlich selbst zum Messias stilisiert. Als stünde seine Kreuzigung unmittelbar bevor, durchschreitet er in strömendem Regen die Gassen Sanitás, während Nunzio im Büro des Staatsanwalts seine Aussage macht. An der pathosgeladenen Parallelmontage nährt sich der Verdacht, daß hier weniger die Figur als vielmehr der Film dem Größenwahn verfällt. Cristina Nord
„Pianese Nunzio – vierzehn im Mai“. Regie: Antonia Capuano. Mit Fabrizio Bentivoglio, Emanuele Gargiulo u.a. Ital. 1996, 115 min., OmU, ab heute im Xenon, Kolonnenstraße 5, Schöneberg
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