: Das große Kindergestapel
■ Such A Surge lieferten den Soundtrack zum Stage-Diving
„Ich schau mir so was immer von oben an, das kommt am besten.“ Knapp zwanzig mochte der junge Mann sein, der allein im PKW von Recklinghausen nach Bremen gedüst war, um Such A Surge zu sehen – schon das vierte Mal auf ihrer diesjährigen Deutschland-Tour. Der reiselustige Fan behielt recht: Von der Ballustrade des Schlachthofs ließ sich die ganze Pracht des Auftritts der Crossoverband aus Braunschweig am Mittwoch abend am eindrucksvollsten erleben.
Es begann verhalten: Keyboard-Wabern im kalten blauen Scheinwerferlicht, ein paar schüchterne Schlagzeugbeats und dann der erste von den 600 Besuchern sehnlichst erwartete schwere Gitarrenakkord. Schließlich touren Deutschlands Corssover-Könige Such A Surge seit sechs Jahren mit ihrer Mischung aus Metal, Hip Hop und deutschem Gesang durch die Republik und wissen, wie man Spannung aufbaut. Der Masse im Pit vor der Bühne waren solche Feinheiten herzlich egal. Schon nach dem ersten Ton stürzten sich die ersten Jüngelchen von der Bühne, ließen sich von einem Dutzend ausgestreckter Arme hin- und herreichen, bis nach bestenfalls zwanzig Sekunden schließlich doch die Schwerkraft ihren Tribut forderte. Daß der Opener „Koma“ ein un-tanzbares, verhaltenes Stück Musik ist, störte da wenig. Das dynamische „Under Pressure“ folgte, auch die ersten Mädels trauten sich zu diven. Ein einziges Wogen, Schaukeln und Auf- und Abspringen begleitete die routinierten Braunschweiger, die mit eiskalter Präzision ihre tanzbaren, schweren Rockstücke runtersäbelten.
Such A Surge suchten innerhalb der Crossover-Korsetts immer wieder neue Wege. Krachige Noisegitarren-Passagen wechselten mit balladesken Teilen, und darüber reimten und rappten die beiden Sänger. Zumeist auf deutsch, also zackig und abgehackt, und das paßte vortrefflich zu den abgestoppten Gitarrenriffs, die die Tanzbarkeit der Band ausmachten. Dazu glänzte der eigens für die Tour geholte DJ Stylewarz aus Bremerhaven, der schon No Remorze zu wahrer Rap-Größe geführt hatte, mit fingerfertigen Scratches und anderen Spirenzchen an den Turntables.
Einen wirklichen Unterschied machte es allerdings nicht, daß Such A Surge musikalisch so andere Wege gingen als die Vorbands. Bif aus Kanada verknüpften Madonna-reife Popperlen mit Heavyrock und lebten vom Charisma der stimmgewaltigen Sängerin, während Liverpools Bullyrag mit einem Rastamann im rosa Hemd am Mikro Reggae-Elemente, Percussion und toastenden Gesang ins Rockkorsett zwängten.
Aber egal, ob es differenziert oder stumpf aus den Boxen schallte, ob eine Band nun Hit- oder Füllmaterial spielte: Die Kids tanzten sowieso, eben weil sie tanzen wollten, auch wenn erst bei Such A Surge vollends die Luzie tobte. „Du mußt dir mal die Leute nach dem Konzert ansehen, die sind fix und fertig. Und genau darum geht es,“ erklärte der reisefreudige Recklinghausener die undifferenzierten Stimmungsexplosionen. Und dazu gehörte es eben, ohne engen Bezug zur Musik mit angelegten Armen herum zu springen. Oder verschwitzt den Pullunder abzustreifen und wie ein Idiot absprungfertig am Bühnenrand zu stehen.
Die Braunschweiger nahmen das gewohnte Gewusel gelassen. „Alle sind deiner Meinung, außer dir“ hieß ein Stück, das die als Individualismus getarnte Konformität auf die Schippe nahm – allerdings ohne sichtbaren Erfolg. Denn andererseits sind die Braunschweiger gern auf der Seite der Kids und erfüllten mit Stücken wie „Was besonderes“ oft ihre Rolle als emotionales Sprachrohr für die jungen Unangepaßten. Und am Ende fühlte sich ein jeder wie etwas besonderes. Lars Reppesgaard
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