Die Kunst mit der Kuh

■ Neue Bilder in einem alten Speicher: Der Kunstverein Nord zeigt Malerei von Gabriele Heider, die zeigt, wie überraschend Bodenständigkeit sein kann

Es ist eine dieser Bremer Wüsten. Sandhaufen, Geröllhügel und Schotterflächen prägen die Geographie. Diese Ödnis befindet sich in Bremen-Vegesack. Es ist das ehemalige Werksgelände der Lürssen-Werft. Unter dem Namen „Haven Höövt“ soll jetzt ein Einkaufszentrum auf der Fläche gebaut werden. Doch von einer neuen Konsumstätte ist noch nichts zu erkennen. Stattdessen führt eine halb fertige Straße ins Nirgendwo, und es bleibt das herumschweifende Auge an einem wuchtigen, alten, offenbar gerade renovierten Gebäude hängen: dem Alten Speicher.

Unter dem Giebel hängt ein Transparent und zeigt mit den Initialen „G.H.“ eine Ausstellung an. An der Seite des Klotzes führt eine abenteuerlich steile Holztreppe hinauf in den dritten – oder war's der vierte? – Stock. Hinter einer Tür warten die riesigen Balken einer imposanten Holzkonstruktion, vernarbte Wände und Kunst von „G.H.“ alias Gabriele Heider auf ihre Entdeckung. Denn bevor sich eines Tages der Konsum draußen auf dem Gelände ausbreitet, hat sich im Alten Speicher schon die Kultur – namentlich der Kunstverein Nord – eingerichtet, um dieses Stückchen Vegesacker Wüste wenigstens eine Zeit lang zu beleben und den Leuten auf dem wenige Meter entfernt vor Anker liegenden Schulschiff „Deutschland“ Gesellschaft zu leisten.

Auf den Anfang des 19. Jahrhunderts geht die Geschichte des Alten Speichers zurück. Wann genau der Lürssen-Vorgänger Johann Lange das Gebäude errichten ließ, weiß niemand so genau. Fest steht nur, daß es 1821 von einem Künstler namens Anton Radl erstmals bildnerisch dargestellt wurde. Das geht aus einer Rekonstruktion hervor, die ein Mitarbeiter der Baugesellschaft STAVE erstellt hat. Denn so wechselvoll die Nutzungsgeschichte des Speichers als Lager für Salz und dann für Schiffsmaterial, als Werkstatt und als Fischereibe-trieb ist, so wechselvoll ist auch das Schicksal des Gebäudes selbst. Noch 1990 beantragte die Firma Lürssen den Abriß, doch dann setzten sich die DenkmalschützerInnen durch. Für 3,1 Millionen Mark hat die STAVE den Speicher inzwischen saniert. Jetzt hofft man – wie üblich – auf Investoren, auf Gastronomen und innovative Leute, die unter dem Dach ein Atelier beziehen.

Von der Vergangenheit scheinen die Balken und Wände oben im Speicher zu erzählen. Wie Graffiti haben sich die Spuren der vielen Nutzer in die Wände eingeritzt. Und sie machen es jeder Kunst schwer, sich dagegen zu behaupten. Gabriele Heiders Malerei gelingt das Kunststück doch. Auf Einladung des Kunstvereins Nord, der seit knapp zehn Jahren in Bremen-Nord Kunstreisen organisiert und neuerdings mit seinen Ausstellungen von Ort zu Ort pilgert, stellt die 1956 geborene Spoerri-Schülerin und Ex-Assistentin des Theaterregisseurs Robert Wilson hier aus.

Gabriele Heider kommt aus einer Großbauernfamilie, lebt auf einem großen Bauernhof im „Speckgürtel“ zwischen Köln und Bonn und bereichert die aktuelle Kunst mit Insignien des Bäuerlichen. Seit sie sich 1985 der Malerei zuwandte und ihr bisheriges Hauptarbeitsfeld (Bühnen-) Architektur und Bildhauerei zur Nebensache machte, wächst ihre Sammlung mit eigenwilligen Bildern: Kreisförmige und Grundfarbwürste auf Grundfarbflächen erinnern noch an eine Kreuzung aus Jackson Pollock und Piet Mondrian. Rote Herzen und Haus-Archetypen auf seltsam braun – nämlich mit Kuhmist! – grundierten, seltsam geformten – nämlich aus der Aussteuer-Wäschekammer stammenden – Textilien gesellen sich hinzu und bleiben ohne Vergleich. Auf wieder anderen Bildern bevölkern Kühe in unstörbarer Disziplin eine Deutschlandkarte oder sind als bloße Zeichen kaum noch erkennbar angeordnet wie in einer seriellen Geheimsprache.

„Kein Tier wird so dokumentiert wie die Kuh“, weiß Gabriele Heider und belegt das mit einem Herdbuch, das den Stammbaum von Schwarz-Bunten um Jahrhunderte minutiös zurückverfolgt. Ihr ist es eine Grundlage für eine beinahe endlos, nämlich auf 1.250 Blätter ausdehnbare Bilderserie. Wenn man sie fragt, erzählt Gabriele Heider davon, wie sie ihre eigene Bodenständigkeit entdecken will und wie sie mit Materialien arbeitet, die selbst von einer „bodenständigen Erlebniswelt“ erzählen. Dabei kommt sie doch über die Kuh zum Menschen, kommt auf den Konflikt zwischen Individuum und Vermassung. Und das alles ist so sprechend, daß man gar nicht mit ihr darüber sprechen muß, sondern sich nur aufzumachen braucht in eine ehemalige Wüstenei in Bremen-Vegesack, wo solche Entdeckungen überraschend sind. ck

Gabriele Heider, Malerei bis zum 8. Oktober im Alten Specher, Haven Höövt. Zur Finissage am 8. Oktober führt Gabriele Heider um 19 Uhr durch die Ausstellung