Durchs weite Dröhnland
: Gitarre spielen mit Walroßschnauzer

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Wer schon mal auf einer Westberliner Demo war, weiß ein Liedchen zu singen davon, wie quälend für die Mitmenschen ein Trommelworkshop enden kann. Geht aber auch anders: ManGo Crazy haben zwar auch keine Hemmungen, aber wenigstens nicht den Drang zur Perfektion. Die perkussiven Exkursionen von Wolfgang Meyer, der sein Geld in einer musiktherapeutischen Praxis am Bodensee verdient, machen keinen Halt vor ehernen Grundsätzen. Rhythmus und Trommelei ist schließlich in jeder Musik irgendwie drin, also kann man auch alles miteinander und durcheinander und überhaupt... Bass und Saxophon unterstützen ihn dabei nach Kräften. Oder, um die drei selbst zu zitieren: „Männer gehen verrückt, oder sie gehen nicht.“

25. 9., 21.30 Uhr, Schoko-Laden Mitte, Ackerstraße 169/170

Kawina ist einer der vielen Musikstile Westafrikas, einer der unbekannteren. Deswegen ist es nicht allzu überraschend, daß Mama Kumba aus Amsterdam die erste rein weibliche Kawina-Combo sind, die in Europa entstanden ist. Wenn man ihrem Call-and-Response so zuhört, kann man unschwer die Wurzeln des Gospel entdecken. Der Abend mit dem etwas sperrigen Untertitel: „Ein Treffen von Aktivistinnen und Künstlerinnen für Toleranz und Verständnis unterschiedlicher Herkunft“, hat neben Mama Kumba auch Tanz aus Sierra Leone, ein Video aus Zimbabwe und Reden der besagten Aktivistinnen zu bieten.

25. 9., ab 20 Uhr, Weiße Rose, Martin-Luther-Straße 77, Schöneberg

Es ist eine nur auf den ersten Blick obskure Ehe, die Techno-Vorreiter Daniel Dax unter dem Namen Tradishion eingegangen ist mit Paul James Hines, der mitverantwortlich war für das frühe Stahlinferno von Test Dept. In beiden Fällen ging es schlußendlich vor allem um Rhythmus, wenn auch bei Dax zum Tanzen und bei Hines eher zum Kopf-gegen-die- Wand-Schlagen. Ein gutes Jahrzehnt später sind die Gemeinsamkeiten schnell gefunden.

21 Uhr, SO 36, Oranienstraße 190, Kreuzberg

Weil die Schweden alte Nachmacher sind, können sie inzwischen sogar Britpop besser als die Originale. Weswegen man selbst im Mutterland mit Importen wie den Cardigans liebäugelt. Kent kommen aus Eskilstuna, was eine Industriestadt ist und mithin in dieser Geschichte das Manchester Schwedens spielt. Im kleinen Büchlein ihrer letzten CD „Isola“ finden sich gelblich getönte Fotos von tristen Hochhaussiedlungen, vor denen ein schüchterner Kuß als letzter Hoffnungsschimmer taugen muß. Ihre eher zum Hymnischen tendierende Musik allerdings verkennt die plattenbauähnlichen Umstände konsequent, stilisiert die Frau zum rettenden Engel und dient sich mit ihren meist sanften Breitwandgitarren als romantischer Fluchtpunkt an.

27. 9., 20.30 Uhr, Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg

Hey, was ist denn mit Kramer los? Nach Jahrzehnten voller Schrammel-Rock und Velvet-Underground-Verehrung, beginnt seine letzte Platte „Songs from the Pink Death“ leise und bedrohlich rollend wie ein Konzeptalbum von David Bowie, kurz nachdem er seine Glitter-Phase überstanden hatte. Dann eine wundervolle psychedelische Endlosschleife, in der beschworen wird, Buddy Holly wäre niemals gestorben, dann eine Beatles-Coverversion. Vielleicht war Kramer ja all die Jahre immer nur von Dilettanten umgeben, schließlich hat er diesmal nahezu alles im Alleingang eingespielt und sich nur ein paar Gitarrenparts von Sean Eden von Luna und das Schlagzeug von Damon Krukowski von Galaxie 500 beisteuern lassen. Live aber, man weiß das ja, ist es immer ein ganz anderes Spielchen, wird dann doch meist einfach losgedängelt. Aber bis dahin kann man sich vom netten alten Lockenkopf Kramer endlich einmal überaus positiv überrascht fühlen.

7. 9., 21 Uhr, Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg

Einer von denen trägt einen Schnurrbart. Einen wirklich gemeinen, so eine Art Walroßoberlippenteil. Irgendwie paßt das zwar auch zur Musik, trotzdem sollte sich niemand abhalten lassen, Fireside gut zu finden. Auch wenn dazu als grundsätzliche Voraussetzung ein unerschütterlicher Glauben daran, daß Rockmusik noch Sinn macht, vorhanden sein muß. Dieser Glaube mag momentan recht selten anzutreffen sein, die vier Schweden aber geben sich alle Mühe, die Gegenreformation voranzubringen. Tatsächlich schaffen sie es, ihre Gitarren hin und wieder ein bißchen neu, ein wenig trashiger klingen zu lassen. Ganz zu schweigen mal von der jugendlichen Naivität, mit der sie ihr Gewerbe betreiben, als hätten sie jede Melodie und jedes Riff gerade erst und höchstpersönlich neu erfunden. Bei ihnen wirken selbst Postrock-Anleihen nicht depressiv, sondern auf eine obskure Weise unschuldig.

29. 9., 21 Uhr, Knaack

Was wohl würde Jesus tun, fände er heutzutage noch irgendwo eine Krippe? Es ist zwar anzunehmen, daß er sich möglichst schnell wieder wegmachen würde, aber No Longer Music sind da anderer Meinung.

Die neuseeländische Band, deren erste Platte auf dem bedeutungsschwanger Christsong getauften Label programmatisch „No Sex“ hieß, inszeniert bei jedem Konzert eine Rockoper, die den guten alten Erlöser mit sämtlichen verfügbaren, drängendsten Menschheitsfragen konfrontiert, als da sind – ich zitiere – „Vergewaltigung, Kindesmißbrauch, Selbstmord und das Klonen von Menschen“. Beim Klonen von Musik hat man sich allerdings nicht zurückgehalten: Jesus Christ Superstar trifft hier hemmungslos auf Pearl Jam, und die Stimme von David Pierce erinnert tatsächlich an Eddie Vedder.

Da fällt es einem dann wie Schuppen aus den Haaren: Eddie Vedder hatte eigentlich immer schon etwas schwer Messias- mäßiges.

1. 10., 20 Uhr, SO 36, Oranienstraße 190, Kreuzberg

Thomas Winkler