: Von Ötzis Birkenporling zu Kuckuckseiern aus Wien
■ Schöne heile Welt: Bis zum Jahr 2008 will die UNO-Drogenbehörde die Menschheit von Drogen befreien. Dagegen fordern Experten ein Überdenken der Prohibitionsstrategie
Stellen wir uns vor, daß niemand je von Hanf gehört hätte. Und dann käme morgen ein Botaniker aus irgendeinem Urwald und würde sagen: Seht mal, was ich hier gefunden habe: Diese Pflanze ist in drei Monaten ausgewachsen und hat einen Biomasseaufbau, der sogar größer ist als der von Mais. Sie enthält die haltbarste Pflanzenfaser, die es gibt, man kann sie anziehen, essen und damit heizen. Ihr Anbau könnte den Treibhauseffekt reduzieren. Die Samen enthalten wertvolles Öl, und außerdem steckt in den Blüten ein nichttoxisches Genußmittel, das auch noch auf vielen Ebenen medizinisch anwendbar ist. Eine nobelpreisverdächtige Entdeckung, wäre da nicht die Dämonisierung der letzten siebzig Jahre.
Die Vereinten Nationen unterhalten allerlei Institutionen. Das „United Nations Drug Control Program“ (UNDCP) ist in Wien zu Hause und legt gelegentlich Kuckuckseier. Das erste war schon ausgebrütet, als es das UNDCP überhaupt noch nicht gab. Mit der „Single Convention on Narcotic Drugs“ war 1961 die Grundlage für neue Repressionen geschaffen worden. Um die UNO-Drogenbehörde nach Wien zu bekommen, mußte in Österreich zum 1. Januar 1963 schnell noch Haschisch verboten werden. Das entsprechende Nazigesetz hatte man nach dem Krieg ersatzlos aufgehoben, und Rauchhanf war Teil der Kaffeehausszene geworden.
Inzwischen hat die UNO-Behörde einiges geschafft, so zum Beispiel die Vervielfachung des Haschischpreises, die Förderung von absurden Forschungsprojekten, die Brüskierung der progressiven Schweizer und zuletzt die Verbreitung der wahnwitzigen Idee von einer „drogenfreien Welt“.
Anfang Juni fand die erste Generalversammlung der UNO zum Thema Drogen statt, ursprünglich gedacht als kritische Bestandsaufnahme der Verbotspolitik. Die Effekte der Totalprohibition – Steigerung der Preise, Senkung der Qualität, Aufhebung von Bürgerrechten – wurden allerdings völlig ignoriert, auch wenn sich hochkarätige Organisationen wie das „Lindesmith Center“ mit einem offenen Brief an den UN-Generalsekretär Kofi Annan für ein Überdenken gegenwärtiger Strategien eingesetzt haben.
Allen Ernstes beschlossen die Delegierten eine „drogenfreie Welt“ und die Ausrottung von Koka, Mohn und Hanf bis zum Jahr 2008. Was zunächst wie eine Vision für die Befreiung vom Übel der Drogen aussehen will, ist indes nichts weiter als eine politische und gesellschaftliche Sackgasse. Tatsache ist, daß es in der Geschichte der Menschheit niemals eine drogenfreie Gesellschaft gegeben hat. Immer und überall hat der Mensch Stimulantien gesucht und gefunden; selbst Ötzi, der Steinzeitmann, hatte Birkenporling bei sich, einen psychoaktiven Pilz.
Pino Arlacchi, Direktor des UNDCP, ist Soziologe und sollte es eigentlich besser wissen. Er hat sich als Mafia-Jäger profiliert und soll nun der oberste Drogenjäger der Weltgemeinschaft sein. Der Auftrag des UNDCP ist allerdings ausdrücklich die Kontrolle – und nicht die Jagd. Mit Verboten wird hier nur erreicht, das betreffende Verhalten jeder gesellschaftlichen Kontrolle zu entziehen. Die Alkoholprohibition in den USA hat die Organisierte Kriminalität erst geschaffen – während heute allein in Deutschland 17,5 Millionen Menschen von legalen Drogen abhängig sind. Sie lassen jährlich etwa 35 Milliarden Mark im Staatssäckel, und 150.000 bezahlen zusätzlich mit ihrem Leben.
Wer daran etwas ändern will, tut gut daran, den Hanf außen vor zu lassen, denn an ihm stirbt niemand. Im Gegenteil, die nachgewiesene medizinische Wirksamkeit bei der Krebs- oder Aidstherapie könnte Leben retten, wenn endlich ein bißchen Vernunft in die (THC-armen) Hirne der Politik einziehen würde. Statt dessen hält die Weltgesundheitsorganisation (WHO) seit 1994 eine Studie zurück, die Cannabis als weit weniger schädlich als Alkohol und Tabak einstuft, und Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) betet öffentlich die abstrusen Thesen der Drogenkrieger nach, während Parteikollegin und Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger den offenen Brief an Kofi Annan mit unterzeichnet hat.
Was die Protagonisten der „drogenfreien Welt“ wollen, ist nichts anderes als wohlberechnete Geldschneiderei: neue Programme, neues Geld. 9 Milliarden Mark will Arlacchi für sein Ausrottungsprogramm. Und damit neue Lügen und neues Leid. Es ist Zeit, sich zu wehren. Jörg Jenetzky
Der Autor ist Redakteur der Fachzeitschrift „Hanf!“
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