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Wissmanns Wahlkampf mit dem Spaten

So oft lud das Verkehrsministerium dieses Jahr schon die Medien zum Spatenstich, daß es selbst den Überblick verlor – mindestens 80mal rammten Konservative ihre heißgeliebte Wahlkampfwaffe in den Boden  ■ Aus Berlin Ralf Lanier

Als Baggerführer seines Kanzlers zieht Matthias Wissmann (CDU) im Wahlkampf durch die Lande. Spatenstiche, Eröffnungen, Grundsteinlegungen – einfache Propagandamittel, altbekannt und sehr beliebt. Auf über 80 Einsätze bringen es Verkehrsminister Wissmann und seine Staatssekretäre im Wahlkampfjahr. Bei so viel Engagement verliert jetzt sogar das eigene Ministerium den Überblick und läßt einige Termine unter den Tisch fallen.

Immerhin 79 Termine listet das Ministerium in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen im Bundestag auf. Doch alleine in den Terminübersichten der Nachrichtenagenturen finden sich sechs weitere Einsätze – und einige mehr sind wohl selbst den Agenturen keine Zeile mehr wert. Am Sonntag zum Beispiel gab Wissmann „das Startsignal für den Einbau von drei Aufzügen“ im Ludwigsburger Bahnhof.

So viel Wahlkampf im Ministeramt scheint nun selbst dem Ministerium peinlich zu werden. Lieber schweigt man, als daß man Auskunft gibt. Dabei hat Wissmann selbst schon in einem Interview 48 Spatenstiche genannt. Rechnet man dann noch die Aktivität der drei Staatssekretäre hinzu, kommt man auf über hundert Feiern zu Baubeginn oder Bauende. Am 20.August war dem Ministerium sogar „Wissmann fährt Straßenbahn in Erfurt (ab Rathaus)“ eine Mitteilung wert.

Gerne ist der Minister in seiner Heimat Baden-Württemberg unterwegs. Am liebsten sticht Wissmann an der Ostseeautobahn A 20 zu; nicht nur weil Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern ist. Nach zwei Spatenstichen in den vergangenen vier Jahren möchte Wissmann im Wahlkampf den Eindruck vermitteln, er selbst sei der erste Bauarbeiter an diesem Mammutprojekt durch zum Teil unberührte Landstriche: im März Rammschlag an der Peene, im Juni erste Spatenstiche in Schleswig- Holstein und in Brandenburg und im August erster Spatenstich an der Uecker-Talbrücke.

„Einweihungstourismus“ nennt der Bund der Steuerzahler das und verweist auf die seitenlangen Einladungslisten zu jedem Anlaß. Alles Dienstreisen, alles bezahlt aus der Staatskasse. Die Frage nach den Kosten ließ das Verkehrsministerium seiner Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen im Bundestag unbeantwortet: Die Ermittlung sei zu aufwendig und würde die Antwort auf die Anfrage nur verzögern.

Mit Wissmanns vier Spatenstichen in diesem Jahr an der A 20 war das Spatenstichpotential der Trasse bei weitem noch nicht ausgeschöpft: Landes-Wirtschaftsminister Seidel (CDU) ließ sich im Juli mit Spaten an der Baustelle der Mühlenbach-Talbrücke fotografieren. Norbert Blüm durfte an der Talbrücke bei Warnkenhagen zustechen und Angela Merkel den „ersten Spatenstich in Nordvorpommern“ vornehmen. Tatsächlich gebaut wird dort nach Einschätzung des BUND in diesem Jahr aber nicht mehr. Merkels ursprünglicher Wunsch, ein Spatenstich an der Rostocker Westtangente, konnte aus baurechtlichen Gründen nicht erfüllt werden. Und trotz Spatenstich an der A 17 (Dresden–Prag) wird dort auch in diesem Jahr nicht mehr gebaut, und andernorts reicht die Finanzierung bestenfalls für kleinere Teile eines Bauabschnitts.

An einzelnen Abschnitten der A 20 wurde insgesamt schon zwölfmal Baubeginn gefeiert, indes sind nach sechs Jahren Bauzeit gerade einmal 26 Kilometer befahrbar. Bei geplanten 324 Kilometern und weiteren 18 Bauabschnitten reicht das noch für die nächsten beiden Bundestagswahlkämpfe. Daran ändert auch ein Regierungswechsel nichts, denn auch Schröder greift gern zum Spaten und hat den Weiterbau der A 20 schon vorab zur Chefsache erklärt.

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