Kommentar: Unaufhaltsame Föderalisierung
■ In Rußland gibt es keine Rückkehr zur Planwirtschaft
Die Aussichten für die nähere russische Zukunft sind nicht rosig. Inflation und Hyperinflation scheinen programmiert. Die erfreulichen postsowjetischen Ansätze in Wirtschaft und Gesellschaft werden, so bleibt zu hoffen, immerhin nur auf Eis gelegt und nicht ganz und gar vernichtet.
Es mag brutal klingen, aber Rußlands paternalistische Kultur, die weder Bildung, Professionalismus, Arbeitsamkeit noch Intelligenz schätzt, hat noch einen weiteren Schlag nötig. Nun, da der Westen und der IWF die Illusionskünstler im Kreml nicht mehr freikaufen, ist das Land genötigt, sich darauf zu besinnen, was es wirklich will. Und es muß sich der schmerzlichen Einsicht öffen, daß nur gut lebt, wer auch gute Arbeit leistet.
Es wäre freilich falsch zu glauben, daß die Russen wieder in die Zeiten der Plan- und Kommandowirtschaft zurückkehren möchten. Selbst die Autoren des administrativen und protektionistischen Antikrisenprogramms peilen keine Rückkehr zu sozialistischen Verhältnissen an.
Zwar sehnen sich viele in die unbeschwerten Zeiten der Breschnew-Ära zurück. Die meisten Russen befürworten dennoch ein marktwirtschaftliches System, in dem der Staat mehr Verantwortung für seine Bürger übernimmt, als es zur Zeit geschieht.
Der Westen darf deshalb sein Interesse an Rußland nicht verlieren. Er sollte aber statt der Dollarmilliarden Hilfe in Form von Bildung und technischem Know-how liefern. Bisher hat der Westen seine Hilfe auf die Zentren Moskau und St. Petersburg beschränkt, wo sich üppige Gewinne abschöpfen ließen.
Nun gilt es, die Aufmerksamkeit auf die Provinzen zu lenken – auch gegen den Widerstand Moskaus. Die Zeit ist dafür günstig. Die Krise hat nämlich verdeutlicht, daß die russische Provinz sich von Moskau lossagt. Am Ende dieses Prozesses wird eine Regionalisierung und Föderalisierung des Riesenreiches stehen, die dem Land besser bekommt als der Egoismus des Zentrums. Westliche Ängste vor einem weiteren Auseinanderbrechen Rußlands sind bisher nicht begründet. Hilfe für die Provinz wäre eine Hilfe für ganz Rußland, die separatistische Tendenzen eher eindämmen würde. Damit trüge man auch den wahren Machtverhältnissen Rechnung. Die Macht nämlich besitzen Gouverneure, die nie mehr nach der Pfeife des Kremls tanzen werden. Klaus-Helge Donath
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