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Bunker-Landschaft, menschengemacht

■ Ein Geschichtspfad soll die historische Landschaft um den U-Boot-Bunker in Farge zugänglich machen / Am kommenden Mittwoch setzt sich erstmals ein Runder Tisch von Sachverständigen und Bürgern zusammen / Architekturstudenten geben Denkanstösse

„Eine ganze Reihe von kulturellen Erinnerungen erfaßte mich: die Mastabas, die etruskischen Gräber, die aztekischen Bauten (...) – so als hätte die Organisation Todt letzten Endes nur einen religiösen Raum zu organisieren vermocht.“

Bunker-Architektur, schreibt der französische Soziologe Paul Virilio weiter, gehört zu den wenigen monolithischen Architekturen der Moderne: diktatorisch und fugenlos kompakt. Wer in Farge vor dem Bunker Valentin steht, schnappt nach Luft. Sinnliche Anbetung und moralische Entrüstung halten sich die Waage: Das 500-Meter-Betonwerk ist die gründliche Realisierung des ästhetisch Erhabenen – das kurzfristige Aussetzen jedes kategorialen Vermögens.

Die Schätzung liegt bei 4.000 Menschen. Keiner aber weiß, wieviele Häftlinge beim Bau des U-Boot-Bunkers in Farge, Tarnname Valentin, wirklich draufgingen. Nicht als „Opfer“. Sondern als Menschenmaterial und lebensunwertes Leben. Kurz vor der Kapitulation 1945 vernichtete die Gestapo auch noch das Archiv.

Aus den sieben verschiedenen Lagern östlich jenes Baus, von dem aus mit einer neuen U-Boot-Serie eine längst verlorene Seeschlacht wieder aufgenommen werden sollte, liefen täglich 10.000 Menschen zur Baustelle. Heißt es. Straf- und Kriegsgefangene, Zuchthäusler in den sogenannten Arbeitserziehungslagern der Nazis – die Häftlinge in der KZ-Außenstelle von Neuengamme hausten in den Treibstoffbunkern rundherum. 1.500 Menschen auf 50 Metern im Durchmesser, schätzt der ehemalige Häftling Raymond Portefaix: „Es sind sieben oder acht Meter, die man beinahe herunterspringen muß, denn der SS-Mann stößt einen hinunter.“(in: Hortensien in Farge, Bremen 1995) Dann, noch zweimal so viele Meter – und der französische Gefangene stand in seinem neuen Zuhause, einer „schwarzen Höhle, wo im Schein von ein paar Nachtfunzeln Eisenträger aussehen wie prähistorische Tiere.“

In mindestens zwei dieser Rundbunker kann man heute hineinschauen. Licht und ökologisch korrekt blinzeln ihre Mauerreste hinter einem dünnen Stacheldrahtzaun in den freien Himmel – in ihrem zerbröselnden Rund haben sich kleine Biotope eingenistet; rotbraun glänzen die Brombeeren und stolz stehen ein paar Lampenputzer um einen Tümpel.

Reinste Kulturlandschaft, menschengemacht, und sich selbst überlassen. Hin und wieder wird sie gesperrt, dann schießt die Bundeswehr ein bißchen zu Übungszwecken; sonst werden hier Hunde an der Leine geführt und Pilzsucher passen auf, daß sie nicht in die halbverschütteten Kellerluken unter den Fundamenten der einstigen Wachbaracken stürzen.

Zwei Hamburger Architekturstudenten, Christoph Schild und Marcus Daltrop, haben sich der Landschaft seit ein paar Monaten angenommen. Für ihre Diplomarbeit. Und eine Initiative aus Farge versucht, einer alten Idee neues Leben einzuhauchen: der Anlage eines Geschichtspfades, der sich vom Bunker Farge mit Schautafeln entlang der Lagerstraße bis hin zum KZ zieht (siehe taz von gestern, dem 25.9.).

Die Hamburger Studenten und die Rekumer Bürger trafen sich am gestrigen Freitag zum vorsichtigen Gedankenaustausch. Doch: Bloß keine vorzeitige Einvernahme! verteidigen Christoph Schild und Marcus Daltrop mit Verve ihre wissenschaftliche Unabhängigkeit. Ihr Interesse für den Bunker Farge und seine Umgebung kommt von weither. Aus Venedig zum Beispiel. Da wurde für die Galeerenproduktion die Fließbandarchitektur erfunden. Vielleicht doch gar kein so weiter Weg zur ersten Serienproduktion von U-Booten, wie sie im Valentin stattfinden sollte. Oder die Geschichte der Kriegsbauten: „Der U-Boot-Bunker Farge ist ein Fe-stungsbauwerk. So wie die Würzburger Residenz“ (Christoph Schild). Die beiden Hamburger Fast-Baumeister sind nicht beschränkt genug, um sich in ihrer architekturwissenschaftlichen Arbeit auf das reine Bunker-Bauwerk beschränken zu können. Ihr landschaftsarchitektonischer Blick umkreist den Bunker Farge in einem Zirkel, der auch noch den Geschichtspfad der Rekumer Initiative weit übergreift. Denn, so betont Schild, natürlich gehören zu dieser Baugeschichte auch die Gleisanlagen, auf denen die Häftlinge zwischen 1943 und 1945 aus ganz Europa zu der Großbaustelle gekarrt wurden. Und auch die umliegenden U-Boot-Bunker: der Kilian in Kiel und die Elbe II in Hamburg.

Doch wenn sich am kommenden Mittwoch zum ersten Mal der Runde Tisch in Rekum trifft, um dem Geschichtspfad auf die Beine zu helfen, dann werden die Pläne ein wenig enger gefaßt. Politisch hingegen ist ein weitausgreifender Schritt getan. Erstmals werden Rekums (SPD-)Politiker, Bremens und Schwanewedes Bundeswehrsoldaten, sowie die örtlichen Heimatvereine an einem Tisch sitzen und überlegen, was man aus den drei Kilometern historischem Gelände zwischen den Rundbunkern und der U-Boot-Fabrik machen kann. Dabei sind dann auch Rainer Habel, der seit Jahren Kontakt zu den ehemaligen Häftlingen hält, der Bildhauer Stein, der 1983 vor dem Bunker gegen viel Widerstand aus der Bevölkerung ein erstes Mahnmal aufstellte und Rainer Christochwitz, der als Öffentlichkeitsarbeiter für das Marine-Depot jeden zweiten Tag Gruppen durch den U-Boot-Bunker führt. Nur der Bremer Senat hält sich noch vornehm zurück – aber selbst dieser wartet möglicherweise nur auf eine letzte inständige Einladung. Haben doch die Kulturbehörde gemeinsam mit den Bremer Theatern für den Bunker Farge große Projekte am Laufen – aber das ist vielleicht ein anderes Thema. Oder?

Fritz v. Klinggräff

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