: Vielleicht sogar Schizophrenie
Theaterbrummen in Basel: Stefan Bachmann verwandelt das Schauspiel in ein Haus der jungen Talente. Doch so richtig rebellisch sind diese neuesten Wilden nicht ■ Von Jürgen Berger
Das Frappierende an Stefan Bachmanns Schauspiel- Neustart in Basel ist nicht nur, daß endlich ein Generationenwechsel am deutschsprachigen Theater eingeläutet wird. Überraschend ist auch, daß das völlig desolate Basler Schauspiel nach den ersten drei Premieren tatsächlich wie ein wachgeküßtes Dornröschen mit den Augen klimpert, während die eidgenössische Presse jubelnd aufatmet. Der 31jährige Bachmann läßt keinen Zweifel daran, daß er nach nur zweijähriger Übungsphase in Berlins Off- Szene und ersten Inszenierungen (unter anderem am Hamburger Schauspielhaus) eines auf jeden Fall beherrscht: die Pose zum Posten.
Er ist ein bekennender Chef und hat sowohl für die Salzburger Festspiele als auch zum Basel-Auftakt Shakespeares nüchternstes Stück „Troilus und Cressida“ als zynischen Abgesang auf jegliches Ideal von Liebe und Heldentum inszeniert. Dabei schlägt er aber auch derart vehement mit videoclipartigen Gags um sich, daß er wieder einmal den Verdacht nährt, da werde lediglich Spaßtheater geboten. „Viele tun sich mit meiner Ästhetik, meinem Umgang mit Inhalten schwer und wünschen sich wohl immer noch eine Eindeutigkeit in der Erzählweise. Meine Inszenierungen aber strahlen Ambivalenz oder vielleicht sogar eine Schizophrenie im Beziehen von Positionen aus“, sagt Bachmann – und wird wohl vor allem vorsichtig sein müssen, nicht zu einem zweiten Leander Haußmann zu mutieren, dem die Selbstvermarktung in Zeitgeistmagazinen und medienwirksame Kantinenprügeleien zeitweise wichtiger waren als der Chefjob.
Im Moment allerdings summt das Basler Theater in einer Neustarteuphorie, als stünden überall Bienenkörbe. Zur Uraufführung der Dramatisierung von Bret Easton Ellis' „Einfach unwiderstehlich“ am Mittwoch etwa wurde gleichzeitig Frank Castorfs Opern- inszenierung des „Othello“ gegeben. Im Foyer war kaum ein Durchkommen, und zur Ellis- Uraufführung drängte ein überwiegend junges Publikum, um zu sehen, wie die für das Theater verloren geglaubte Generation der heute Dreißigjährigen sich selbst thematisiert. Als Generation X, die dreißig Jahre danach Attitüden und Haltungen der 68er als todtrauriges Revival feiert. Der inzwischen 34jährige Ellis hat mit seinem Splitter-Roman vor genau zehn Jahren und als Vorstufe seines Megasellers „American Psycho“ einen Abgesang auf eine College-Generation der US-Ostküste geschrieben: keine Vision, nirgends, es sei denn, man begreift den verzweifelten Geschlechtsverkehr in allen Lagen und Ecstasy- Dröhnungsstufen als visionäres Revival von „Love and Peace“.
Regisseur Nicolas Stemann, 1968 geboren und also genau 30 Jahre alt, hat daraus das Porträt einer Generation unter Coolheits- Druck destilliert. Immer wieder scheinen die Darsteller der Hauptfiguren unter dem Gewicht ihrer Fassade zusammenzubrechen, läßt Stemann sie kommunikative Gesten üben, die eigentlich jede Verständigung verhindern – geboren aus der Angst vor jedem Wort, das das „Echt geil“-Korsett sprengen könnte. Sitcom-Tragödie nennt Stemann seine zusammen mit Bachmanns Leib- und Magendramaturg Lars-Ole Walburg erstellte Dramatisierung.
Anders als die jungen Wilden der siebziger Jahre (Stein, Peymann, Flimm, Dorn) lehnen sich die Protagonisten des jetzigen Generationswechsels nicht gegen die Tradition auf, sondern kokettieren mit ihr und leben ansonsten ein gemäßigtes „Anything Goes“. Das zeigt auch Bachmanns vielversprechender Start-Spielplan, der, egal welche Abstürze da kommen werden, alles bietet, was derzeit an innovativen Regie-Energien im deutschen Theater floatet. Theaterneustars wie der DJ-Regisseur Stefan Pucher drängen nach Basel, und Bachmann präsentiert ganz selbstverständlich, was erfolgreiche Chefs der älteren Generation wie Frank Baumbauer noch verfechten mußten: den heterogenen Spielplan mit einem unorthodoxen Nebeneinander völlig unterschiedlicher Regietemperamente.
Nicht verwunderlich also auch, daß die dritte Auftaktinszenierung von Andreas Kriegenburg (35) bestritten wurde. Der zeigt mit der choreographierten Dekonstruktion von Hebbels „Maria Magdalena“ einen völlig anderen – und zwar den überzeugendsten – Regiestil des derzeitigen deutschsprachigen Theaters. Daß Hebbels schwerblütiger Reanimationsversuch des bürgerlichen Trauerspiels nicht vom Blatt gespielt wird, versteht sich bei Kriegenburg von selbst. Und daß sein Textsampling mit Originalpassagen neben „Herzblatt“-Splittern à la „Du bist mein Wildbach, laß mich deine kleine Forelle sein“ die Abonnenten-Seele spalten dürfte, ist ebenfalls selbstverständlich, nach den Jahren des aufhaltsamen Basler Schauspielabstiegs aber dringend notwendig.
Doch wie gesagt: Die Zuschauer strömen trotzdem – oder gerade deshalb – wieder ins Theater und scheinen den jungen Chef vorerst zu akzeptieren. Der, so sieht es aus, wollte schon immer an die Verantwortung, hatte zu Beginn seiner Theaterkarriere allerdings den Eindruck, als sei alles mit Chef-Platzhaltern betoniert, die so taten, als könnten alleine sie ein Theater leiten. „Jürgen Flimm zum Beispiel ist ja ein ganz netter Kerl, gab aber nur zynische Interviews, in denen er sagte, es gebe keinen Nachwuchs. Das ist so eine 68er- Selbstgefälligkeit gepaart mit ewiger Jugend, die sich nicht eingestehen will, daß man bereits bourgois ist“, sagt Bachmann, wohl ahnend, daß auch er den Weg allen Fleisches gehen wird.
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