Dreimal Ringstorff für Meck-Pomm

In Mecklenburg-Vorpommern wird am Sonnntag ein neuer Landtag gewählt. Wagt SPD-Spitzenkandidat Harald Ringstorff eine Koalition mit der PDS?  ■ Von Heike Haarhoff

Schwerin (taz) –Das Boizenburger Jagdblasorchester hat gehalten, was die Pressestelle der CDU von Mecklenburg-Vorpommern versprochen hat: „Gute Stimmung“ bei der Wahlkampfkundgebung vor dem Schweriner Schloß am vergangenen Dienstag, zumindest bei der CDU-Parteispitze. Fünf Tage vor der Landtagswahl, die in Schwerin mit der Bundestagswahl am 27. September zusammenfällt, gibt sich der regierende CDU-Landesvater Berndt Seite ungewohnt kämpferisch. „Wir haben blühende Landschaften versprochen, und sie entstehen“, ruft er der übersichtlichen Menge auf dem Platz zu. Pfiffe, Buhrufe.

Die Arbeitslosigkeit im strukturschwachen Mecklenburg-Vorpommern ist mit 17,5 Prozent die zweithöchste in Deutschland nach Sachsen-Anhalt. Es gibt Regionen in Vorpommern, wo jeder zweite ohne dauerhaften Job ist. Die Ausbildungssituation für Jugendliche ist „katastrophal“, beklagen längst nicht mehr nur die Gewerkschaften. Nur noch ein Viertel der Bevölkerung traut laut infratest der CDU noch die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen zu.

Doch Seite, in dessen Amtszeit die große Werftenkrise von 1996 fällt, redet unbeirrt vom „Aufschwung“. Daß er einer der wenigen ist, die seinen Worten Glauben schenken, kümmert ihn wenig: Er, der als spröd-zahmer Polit-Softie gilt, der selbst von eigenen Parteikollegen abschätzig als einer gehandelt wird, „der als gelernter Tierarzt bestenfalls mit den Bauern kann“, gerät für seine Verhältnisse richtig in Fahrt. Vielleicht liegt es daran, daß heute an Seites Seite der Ewige Einheitskanzler Helmut Kohl den mittelgroßen Landesregenten geradezu körperlich zu beschützen scheint vor Attacken des murrenden Volks.

Die Umfragen sagen der CDU einen rasanten Absturz von 38 Prozent (1994) auf 28 Prozent voraus. Die SPD dagegen, bisher Juniorpartnerin in Seites Großer Koalition, könnte um mehr als zehn Prozentpunkte zulegen: Satte 41 Prozent der Wählerstimmen werden ihr vorausgesagt. Die Mißerfolge der Regierung in wichtigen Fragen – mangelnde Jobs, eine exportschwache Wirtschaft und wegbrechende Steuereinnahmen trotz boomenden Tourismus – werden eher der CDU denn der SPD angelastet. „Einige von der SPD sind in der Großen Koalition nicht angekommen“, suggeriert Seite mangelnde Regierungsverantwortung bei der SPD. Das Ergebnis der bislang einzigen Oppositionsfraktion PDS dürfte mit rund 20 Prozent etwa gleich bleiben.

Zu befürchten steht, daß nach dem Erfolg von Sachsen-Anhalt im Frühjahr auch in Mecklenburg- Vorpommern die Rechtsextremen in den Landtag einziehen: Jeder zehnte Wahlberechtigte kann sich vorstellen, rechtsextrem zu wählen, sechs Prozent überlegen noch. NPD und DVU, die aggressiv mit Hauswurfsendungen für „Arbeit für Deutsche“ geworben haben, könnten den Sprung über die Fünf- prozenthürde schaffen. Die FDP wird dies in Ermangelung eines wohlsituierten Mittelstands im Osten dagegen wohl nicht schaffen. Ebenso schlecht stehen die Chancen für die Grünen, weil sie trotz aller Anstrengung das Image der Öko-Wessi-Partei mit 5-Mark- Benzin nicht verlieren.

Absprachen der Parteien untereinander, wie mit den Rechtsextremen umzugehen sei (ignorieren oder öffentlich vorführen?) existieren auch wenige Tage vor der Wahl nicht. Fest steht nur: Mit wem immer die SPD und ihr Spitzenkandidat Harald Ringstorff regieren werden – für Seite ist im neuen Kabinett kein Platz, kein prominenter jedenfalls. Denn sollte die SPD eine Minderheitenregierung bilden nach dem „Magdeburger Modell“ (Variante 1), also toleriert von der PDS, wird der jetzige CDU-Fraktionschef Eckhardt Rehberg die Rolle des Oppositionsführers nicht freiwillig an Seite abtreten.

Gleiches gilt für eine rot-rote Koalition (Variante 2), vor der es die CDU besonders gruselt: „Neofaschisten oder Kommunisten“ – für Kanzler Kohl irgendwie alles eine Sauce – „dürfen niemals wieder in Deutschland die Macht haben“, so sein Appell. Die 1,8 Millionen Einwohner im nordöstlichsten Bundesland denken da unideologischer: Die Hälfte (46 Prozent) kann sich eine direkte oder indirekte Regierungsbeteiligung der PDS vorstellen. Das sind mehr als die 44 Prozent, die eine Fortführung der Großen Koalition (Variante 3) befürworten.

Freiwillig würden sich dies selbst die Kontrahenten Seite und Ringstorff nicht erneut antun wollen. Höflich sprechen beide von „Reibungsverlusten“, wenn sie die vergangenen vier Jahre CDU- SPD-Regierung bilanzieren.

Die CDU setzt auf Großprojekte wie Ostseeautobahn, High- Tech-Industrie und Transrapid, die SPD verlangt einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, die Förderung kleinerer Betriebe und eine Ausbildungsplatzumlage für Firmen, die nicht ausbilden.

Viele Kontroversen gehen schlicht auf die persönliche Feindschaft der beiden Fraktionschefs Rehberg (CDU) und Ringstorff (SPD) zurück, die sich gegenseitig als wahlweise „böse“ ,„machtgeil“ oder „verbissen“ verachten.

Ringstorff will nach mehreren gescheiterten Anläufen diesmal erster Mann im Land werden. Er, der im ungezwungenen Gespräch mit den Bürgern im Land trotz seiner exzellenten Plattdeutschkenntnisse introvertiert bis hölzern wirkt, sei an Starrköpfigkeit und Machtwillen nicht zu unterschätzen, warnen Opposition wie Parteikollegen.

Die ungeliebte Große Koalition könnte ihm dann drohen, wenn die Rechtsextremen in den Landtag einziehen und die Bundes-SPD auf stabile Machtverhältnisse drängen sollte. „Das Land muß regierbar bleiben“, räumt auch Ringstorff ein. Lieber jedoch würde er als Ministerpräsident der ersten rot-roten Regierung der Nach-Wende- Jahre in die Geschichtsbücher eingehen. Für eine SPD/PDS-Koalition spricht nicht zuletzt auch folgende Überlegung: Wer politische Verantwortung übernimmt, dessen Mythos bröckelt auch eher.