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Katholische Schein-Lösungen für Schwangere

■ Die katholischen Schwangerschaftsberatungen denken über kosmetische Lösungen nach, um den Forderungen des Papstes zu entsprechen und andererseits im Beratungssystem zu bleiben

Die deutschen Bischöfe winden sich im Spagat zwischen der Forderung des Papstes, in Zukunft keine Beratungsscheine mehr für Schwangere auszustellen, und den Bestrebungen, weiterhin im staatlichen Beratungssystem zu bleiben. Auf der am letzten Freitag beendeten Herbstvollversammlung der katholischen deutschen Bischöfe gab es in dieser Frage „absolut nichts Neues“, wie deren Vorsitzender Karl Lehmann mehrfach betonte. Eine Arbeitsgruppe werde in weiteren drei Sitzungen Lösungskonzepte entwickeln. Mit einer Entscheidung ist wohl im Frühjahr 1999 zu rechnen.

Einstweilen wird in Kirchenkreisen laut über Schein-Lösungen nachgedacht, wie beispielsweise die eines Beratungsbriefes, wie Andreas Herzig, Sprecher des Erzbischöflichen Ordinariats Berlin bestätigt. Im Klartext: Die katholischen Beratungsstellen sollen einen „Brief“ als Nachweis über eine Beratung ausstellen, der dann wiederum auf den Gesundheitsämtern in den Beratungsschein umgetauscht werden kann. Dieser ist Voraussetzung für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch. Ein Tauschgeschäft, das die Forderungen aus Rom kosmetisch löst und den Frauen eine Hürde mehr in den Weg legt.

Wenn die Beratungen schon staatlich verordnet sind, dann sollten sie möglichst jenseits ideologischer und moraltheologischer Einflußnahme vonstatten gehen. Denn nur so kann diese Art der Beratungen sinnvoll sein. Frauen, die ungewollt schwanger werden, brauchen einen Freiraum zur unbeeinflußten Entscheidungsfindung. Neben den unabhängigen, nichtkirchlichen Einrichtungen wie Pro Familia, die bundesweit rund 150 Beratungsstellen führen, gibt es noch andere: Die Schwangerschaftskonfliktberatung des Studentenwerks Berlin beispielsweise schafft einen derartigen Freiraum.

Seit über zwanzig Jahren werden hier studierende Frauen im Konfliktfall beraten. Ausgebildete Sozialarbeiter und Psychologinnen können die Beratungsscheine ausstellen. 1997 nahmen rund 230 studierende Frauen die psychotherapeutische Einrichtung in Anspruch, darunter waren nicht nur Schwangere, sondern auch Studierende mit Kind. 40 schwangere Frauen kamen unentschieden in die Schwangerenkonfliktberatung. „Die meisten wollen ihr Kind“, meint Rosita Lohmann, Abteilungsleiterin der Beratungseinrichtung, „haben aber Angst vor den finanziellen Konflikten.“ Im letzten Jahr wurden lediglich sechs Beratungsscheine ausgestellt – eine überraschend niedrige Zahl.

Moraltheologische Hintergründe kann man der Beratungsstelle wohl kaum unterstellen. Die Gründe liegen woanders: Aufgrund der engen Arbeitsmarktsituation entscheiden sich immer mehr junge Frauen, früh ein Kind zu bekommen, weil sich die Infrastruktur für Studierende mit Kind im Vergleich zu den 70ern erheblich verbessert hat. Krippenplätze und Kindertagesstätten sind vorhanden, auch die Möglichkeit des Teilzeitstudiums. Auch gibt es in Berlin Wohnprojekte für StudentInnen mit Kindern.

Spätestens seit dem Karlsruher Urteil vom 28. Mai 1993, das Abtreibungen als rechtswidrig, aber straffrei definiert, vollzog sich eine Umdeutung des Begriffes „Leben“, wie die Historikerin Barbara Duden schon Jahre zuvor erkannte. Die betroffenen Frauen sind im Laufe der Debatte um das sogenannte „ungeborene Leben“ völlig aus dem Blickwinkel geraten. Der Staat nimmt die Schutzpflicht gegenüber der Mutter für das „Leben“ ein, und geht damit der Frau buchstäblich an den Leib. Der Fötus wird zur öffentlichen Sache, die schwangere Frau wird zur Gegnerin, an deren Verantwortungsgefühl appelliert werden soll. Staatlich kontrollierte Berater werden zur Biologisierung dieses Rechtsverständnisses eingesetzt. Und, wie nicht anders zu erwarten, zementieren die Kirchen diese Haltung. Dies zeigt die aktuelle Diskussion der deutschen Bischofskonferenz. Heike Gläser

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