Endlich!

■ Kohl geht, Schröder triumphiert. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wird ein Kanzler aus dem Amt gewählt. Grüne und FDP schaffen die Fünfprozenthürde. Gerhard Schröder hält sich alle Optionen offen

Bonn/Berlin (taz) – Die Ära Kohl ist zu Ende. Nur 35 Prozent der Bundesbürger gaben der CDU/CSU laut ZDF-Hochrechnung gestern ihre Stimme – das schlechteste Ergebnis seit 1949. Bereits um 19 Uhr erklärte der Bundeskanzler seinen Rückzug als Parteichef. Im November soll ein außerordentlicher CDU-Parteitag einen neuen Vorsitzenden bestimmen. Verlieren wird Kohl vermutlich auch seinen Wahlkreis in Ludwigshafen. Nach Auszählung der meisten Stimmbezirke lag seine SPD-Konkurrentin Doris Bernett 6.000 Stimmen vor Kohl.

Einen überraschend deutlichen Sieg kann die SPD feiern. Sie erzielte 41,2 Prozent der Wählerstimmen und stellt im neuen Bundestag mit 287 Abgeordneten nun die stärkste Fraktion. Vor jubelnden SPD-Mitgliedern sprach Kanzlerkandidat Gerhard Schröder von einem Generationswechsel in der deutschen Politik. Die neue Mitte sei von der SPD gewonnen worden. Über einen möglichen Koalitionspartner wollte Schröder sich nicht äußern. Er beließ es bei dem Satz: „Dieses Land braucht eine stabile Regierung.“

Rein rechnerisch ist in Bonn nun eine rot-grüne Koalition möglich. Die Bündnisgrünen erreichten 6,7 Prozent, gemeinsam mit der SPD würden sie in einem Bundestag mit 656 Sitzen 334 Abgeordnete stellen. Die FDP erzielte 6,2 Prozent, CDU und FDP kommen – ohne Überhangmandate – zusammen so nur auf 287 Mandate. Für die PDS stimmten 5,0 Prozent; unklar war, ob sie drei Direktmandate gewinnen konnte.

Über mögliche Koalitionen wollte sich am Wahlabend niemand offen äußern. So sagte der Sprecher der Bündnisgrünen, Jürgen Trittin, in der Bonner Runde von ARD und ZDF: „Der Wählerauftrag ist, die jetzt regierende Koalition aus dem Amt zu entfernen.“ Mehrfach wich er aber Fragen aus, welche Mandatsmehrheit er im Bundestag für erforderlich hält, um eine rot-grüne Koalition bilden zu können. Gegen eine Ampelkoalition sprach sich Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) aus. „Selbstverständlich gibt es keine Verbindung mit Rot-Grün, eher gehen vier Kamele durch ein Nadelöhr.“ Der Vorsitzende der PDS-Gruppe im Bundestag, Gregor Gysi, bekräftigte die Position seiner Partei zu einem Regierungswechsel in Bonn. „An uns scheitert der Regierungswechsel nicht.“ Lieber wäre es ihm aber, Rot-Grün hätte eine absolute Mehrheit. Einer SPD-CDU-Koalition teilte Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber die klarste Absage: „Eine Große Koalition wird es mit uns niemals geben.“ Dem schloß sich auch der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Erwin Teufel (CDU), an. Als neuen Parteivorsitzenden schlug er Wolfgang Schäuble vor. Dagegen sagte CDU-Generalsekretär Peter Hintze, seine Partei werde über ein SPD-Angebot zur Zusammenarbeit beraten. CSU-Chef Theo Waigel forderte: „Rot-Grün muß jetzt regieren und zeigen, was sie können.“

Auch bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern siegte die SPD. Nach Hochrechnungen wird sie mit 34,5 Prozent die stärkste Fraktion im Schweriner Landtag stellen. Die CDU kommt auf 30,2 Prozent, sie verliert 7,5 Prozent. Noch am Wahlabend erklärte Ministerpräsident Berndt Seite seinen Rücktritt. Wahrscheinlich ist nun eine rot-rote Koalition der SPD mit der PDS, die auf 24,5 Prozent kam. Von den rechtsradikalen Parteien, deren Einzug ins Parlament befürchtet worden war, erreicht die DVU 3,0 Prozent. In Brandenburg fanden außerdem auch Kommunalwahlen statt. Der bisherige Umweltminister Matthias Platzeck (SPD) wird mit 62,5 Prozent der Stimmen neuer Potsdamer Oberbürgermeister. her Tagesthema Seiten 2 und 3