■ Vorschlag: Vokale Archäologien – Meredith Monk im Hebbel-Theater
Meredith Monk war künstlerische und musikalische Grenzgängerin, lange bevor Worte wie „Interdisziplinarität“, „Fusion“ oder „Eklektizismus“ die Feuilletons erobert haben. Sie hat Töne getanzt, dokumentarische Filme zu poetischen Liebeserklärungen gemacht, Busverbindungen zu Theaterbühnen umgedacht, das Sehen im Singen geschult, die Musik von Vulkanen und Eiswüsten gleichermaßen in ihre Details zerlegt und auf eine intensive Weise versucht, hinter die Dinge zu schauen. Lange war die Amerikanerin nicht in Berlin, obwohl sie sich 1980 mit der Inszenierung ihrer Oper „Vessel“ (das Schiff) die damalige Stadt zu ihrer Bühnenplattform gemacht hat. Mit Bussen wurden die Zuschauer vom SO 36 zum Anhalter Bahnhof und zur Schaubühne gefahren. Mit „Vessel“ hat Meredith Monk demnach weniger ein Gastspiel – wie mit ihren Opern „The Games“ oder „Atlas“ –, sondern auf außenseiterische Art ein Heimspiel gegeben.
Im Rahmen der Festwochen tritt Meredith Monk mit einem Liederprogramm im Hebbel-Theater auf. Die reduzierte Einfachheit ihrer Kompositionen kontrastiert mit ihrem mal erratischen, mal schrillen, mal versöhnenden Gesang. Selten singt sie ganze Wörter, sondern Phoneme, Bruchstücke von Lauten. Wörter gäben bereits zuviel vor, meint sie. Meredith Monk, in vierter Generation Sängerin, versteht sich als „vokale Archäologin“. Jeder Schrei ist noch ein Ganzes, sie sucht die Teile, aus denen er zusammengesetzt ist. Dabei grabe sie „Farben, Materialien, Charakter, Landschaften und Impulse darin aus“.
Meredith Monk hat vor 30 Jahren „The House“ gegründet, eine Gruppe, die sich der Auflösung der traditionellen Performance-Ansätze verschrieben hatte. Während sie im Laufe ihrer 30jährigen Suche nach dem, was hinter den Dingen liegt, vor allem die Sprache in die Dissonanz trieb, der Musik jedoch die versöhnliche Note gegeben hat, brechen neuere Arbeiten eher die musikalische Begleitung auf, während der Gesang zur Ruhe kommt. Unwahrscheinlich, daß von daher selbst ihr derzeitiges Solo-Gastspiel nicht mit Überraschungen im Kleinen aufwartet. Meredith Monk kennt viele Arten, Gesang in Bewegung aufzulösen. Minimalismus ist ihr Bühnenabenteuer, ihr Weniger als Mehr. Waltraud Schwab
Vom 29.9. bis 1.10., 20 Uhr, Hebbel-Theater
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